Neujahrsansprache

 

Das Jahr 2023 liegt nun also hinter, und ein neues 2024 vor uns. Die vielen Jahresrückblicke, die derzeit im Fernsehen gezeigt werden, sind vor allem geprägt durch die unzähligen Katastrophen, Kriege und anderen schlechten Nachrichten, die das vergangene Jahr mit sich brachte. Die Hoffnungen auf Besserung, die jedes Mal mit diesen Rückblicken verbunden sind, werden meiner Meinung nach aber leider auch in 2024 bitter enttäuscht, wenn wir alle nicht zu einer radikalen Umkehr bereit sind.

 

Wie soll denn auch etwas besser werden, das wir als Menschheit in beinahe allen Belangen und auf allen Ebenen selbst zu verantworten haben? Wie soll sich etwas bessern, für das wir außer mit Lippenbekenntnissen und mehr als geduldigen Papieren nicht bereit sind, für Veränderungen zu sorgen und es anpacken? Braucht es noch ein Beispiel dafür? Wie können wir denn ernsthaft glauben, dass sich der Klimawandel und dessen katastrophale Folgen, die wir nun andauernd durch Überflutungen, unvorhersehbaren Wetterereignissen, Trockenheitsbränden von gewaltigen Ausmaßen, kranken Wäldern etc. zu spüren bekommen, noch aufhalten lässt?

 

Vor allem dann nicht, wenn wir nicht endlich ernsthaft versuchen, zumindest die allerschlimmsten Folgen durch umgehendes und konkretes Handeln abzumildern. Und was machen wir stattdessen? Wir halten eine der lächerlichen Palaverrunden, die wir Klimakonferenzen nennen und von denen am Ende immer nur bis zur Unkenntlichkeit verbogene Kompromisse ohne wirklichen Handlungsdruck herauskommen, ausgerechnet in einem Land ab, das von der bisherigen Praxis der Verbrennung fossiler Energieträger profitiert und seinen unermesslichen Reichtum darauf aufgebaut hat. Genau dies zeigt sich dann auch im Ergebnis dieses Gipfels, der die wahren Machtverhältnisse durch die Abhängigkeit der Industriestaaten vom noch immer sprudelnden Öl wieder einmal offengelegt hat. Im Anschluss an dieses Desaster wird sich dann aber trotzdem gegenseitig stolz auf die Brust geschlagen, während die Erde mit ihrem komplexen Ökosystem uns weiter zeigt, was sie von diesem lächerlichen und inhaltlosen Polittheater hält.

 

Gerade in diesem Dezember 2023 erleben wir auch in Deutschland anhand der bundesweiten Überschwemmungen wieder ganz aktuell und deutlich, was uns in den kommenden Jahren in wahrscheinlich noch schlimmerer Form erwartet. Doch statt sich dies zu Herzen zu nehmen und zu erkennen, in welcher Situation wir sind, wird lieber dafür gesorgt, dass ein Gesetzespaket, welches diese Probleme zumindest ernst nehmen und handeln wollte – auch wenn es unbequem und ja, auch teuer geworden wäre – durch Indiskretionen innerhalb der Regierung, sowie durch die absichtliche Falschinterpretation und den Druck von bestimmten Medien und politischen Parteien hierzulande zerpflückt wird, bis beinahe nichts mehr vom guten Ansatz übrig ist.

 

Die Gesellschaft wird dermaßen mit falschen „Fakten“ versorgt, dass eine sachliche Diskussion überhaupt nicht mehr möglich ist. Ein technisches Gerät wie z.B. die Wärmepumpe, die seit Jahrzehnten problemlos in skandinavischen (!) Ländern zur Beheizung von Gebäuden verwendet wird und in umgekehrter Form in Millionen von Kühlschränken eingebaut ist, wird plötzlich zum Hassobjekt unsäglicher und unsachlicher Kommentare, die bis zu Morddrohungen gegen Befürworter dieser Technik führen. Diese degenerierte und desstruktive Art der Auseinandersetzung ist inzwischen leider an der Tagesordnung in unserer Gesellschaft.

 

Jugendliche, die sich ebenfalls ernsthafte Gedanken und Sorgen um ihre Zukunft machen – auch wenn ihre Methoden sicher diskussionswürdig sind – werden pauschal von den gleichen Medien und Politikern mit bestimmten Interessen öffentlich niedergemacht und sogar zu Terroristen mit entsprechender Strafandrohung erklärt. Auch hier wird die Volksseele angestachelt, so dass es zu teilweise tätlichen Angriffen auf die sogenannten „Klimakleber“, oder wie „BILD“ sie nennt, „Klimachaoten“, kommt.

 

Natürlich kann man sich darüber aufregen, dass diese Jugendlichen ausgerechnet die Straße blockieren, über die man zur Arbeit fahren muss. Oder darüber, dass sie versuchen, berühmte Gemälde oder andere Kunstwerke mit Essen oder Farbe zu bewerfen. Das alles kann und muss man mit ihnen diskutieren – aber recht mit ihrer Sorge und ihren Vorwürfen, dass wir als verantwortliche Generation nicht genug gegen den Klimawandel tun, haben sie dennoch.

 

Betrachten wir das nächste Thema, für das wir als Menschheit insgesamt verantwortlich sind. Die Entwicklung demokratischer Strukturen ist immer mehr auf dem Rückzug. Natürlich kann man Gesellschaften, die in Diktaturen wie beispielsweise in Nordkorea leben müssen, nicht dafür verantwortlich machen; aber solche schon, die selbst alles dafür tun, dass Despoten an die Macht gelangen und sich dann dort festsetzen. Auch dafür gibt es genügend Beispiele, bei denen man sich wirklich fragen muss, wie es zu solchen Entwicklungen kommen kann. Erdogan in der Türkei ist so eines, Orban in Ungarn ebenfalls. Auch Bolsonaro in Brasilien, der letztlich dann aber doch (wenn auch knapp) am Wählerwillen des Volkes gescheitert ist. Doch mit Javier Milei hat sich in Argentinien bereits der nächste populistische Schreihals in Südamerika etabliert und sogleich mit einem umfangreichen Programm an für ihn günstigen Machtkonstruktionen angefangen, für sich zu sorgen.

 

Im November des vor uns liegenden Jahres wird es eventuell den nächsten Wechsel von einer Demokratie hin zu einer Diktatur des Populismus geben: Nämlich in den USA. Die Tatsache, dass es Donald Trump trotz vieler Gerichtsverfahren aufgrund verschiedenster Delikte gelingt, eine scheinbar unangreifbare Position bei den Republikanern einzunehmen, verdeutlicht die Absurdität dieser Entwicklung sehr augenscheinlich. Zahlreiche Menschen folgen ihm wahrscheinlich nicht nur trotz, sondern gerade wegen seiner Vergehen gegen demokratische Institutionen. Er ist ein Demagoge des Gewöhnlichen, dem es mit Lügen, Hass und Hetze ohne Logik und ohne Beweise für seine abstrusen Behauptungen gelingt, bei den Menschen gehör zu finden.

 

Dabei nutzt er – wie viele andere Despoten seines Faches auch – eine Mischung aus religiösem und nationalistischem Geschwurbel gepaart mit Fremdenfeindlichkeit, Öko- und Homophobie, um die Gesellschaften unversöhnlich zu spalten. Seine Anhänger glauben ihm dabei wirklich, dass er als Milliardär, mit vielen Immobilien an exklusiven Orten dieser Welt und einem Lebenswandel, von dem seine Fans wohl nur träumen können, nicht zum Establishment gehört. Er lässt Leute für sich demonstrieren, während er zum Golfspielen fährt und hetzt sie gar zu einem Kampf gegen staatliche Strukturen und deren Vertreter auf, bei dem es schließlich am 6. Januar 2021 sogar Tote gibt. Selbst nimmt er daran aber nicht teil, sondern beobachtet das alles aus sicherer Ferne und lässt seine Anhänger dann im Stich.

 

Die Gefahr, welche 2024 bei einer möglichen Wiederwahl Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten ausgeht, liegt in seiner schon jetzt erfolgten Ankündigung, dass er „wahrscheinlich zu einem Diktator wird, aber nur den ersten Tag“, wie er es selbst in seiner für ihn typisch abstrusen Weise ausgedrückt hat. Er würde jedoch wahrscheinlich wirklich so handeln und seine Gegner und Kritiker nachhaltig beseitigen. Wie weit er dabei gehen würde, bliebe abzuwarten. Aber seine bisherige Vorgehensweise macht deutlich, dass man alles Mögliche von ihm erwarten müsste. Außenpolitisch wäre das angesichts der vielen Krisen sicher ebenfalls eine Katastrophe, weil es keine verlässliche Politik mehr seitens der USA geben würde, da Trump seine Entscheidungen eher aus „dem Bauch heraus“ fällt.

 

Doch betrachten wir auch noch einmal die Entwicklung hierzulande. Mit den stetig steigenden Umfragewerten der AfD wird auch in Deutschland die Gefahr einer Zerstörung unserer demokratischen Strukturen trotz aller Warnungen immer wahrscheinlicher. Beim Betrachten der Protagonisten dieser Partei reibt man sich wiederum verwundert die Augen und fragt sich, wie es sein kann, dass ganze Heerscharen an Wählerinnen und Wählern sich so blenden lassen. Eine blasse Karikatur von Goebbels aus Thüringen sucht mit angestrengt tiefer Stimme in hetzerischen Reden „ihre Männlichkeit“ wiederzuerlangen, ein ehemaliger Maler und Lackierer (nichts gegen Handwerker!) bauscht einen Bienenstich zu einem Attentat gegen sich auf und eine Vorsitzende dient mit ihrem privaten Lebenswandel als Fleisch gewordener Widerspruch zum Parteiprogramm, während sie lieber in der Schweiz wohnt, um Steuern zu sparen und dann lauthals in ihren Reden zu verkünden, dass „ …die da oben uns doch veraschen wollen“.

 

Zugegeben etwas platt und polemisch ist dies jedoch eine aus meiner Sicht treffende Zusammenfassung der führenden Personen dieser Partei. Wer glaubt denn ernsthaft, dass diese Leute auch nur im Entferntesten die Kompetenz, ganz zu schweigen vom tatsächlichen Willen haben, die Probleme dieses Landes und seiner Menschen anzupacken und zu beheben? Und ja, wir haben eine Menge Probleme neben den Dingen, die ich weiter oben schon beschrieben habe. Ja, es gibt Schwierigkeiten mit der Integration großer Gruppen von Migranten, die aus patriarchalen Gesellschaften kommen, in denen nur die „Männlichkeit“ zählt und denen Bildung so fern ist, wie der Mond der Erde. Es gibt Probleme damit, dass diese Leute zumeist in bestimmten „Problemvierteln“ zusammenwohnen und dort in ihren Parallelgesellschaften leben, keine Gesetzte und Regeln anerkennen und meinen, mit Kriminalität ihre Bedürfnisse befriedigen zu können. Das alles zu verhindern ist aber über Jahrzehnte versäumt und ignoriert worden – und es wird mit Sicherheit ebenso lange dauern, so etwas zu verändern. Aber man kann, darf und muss es ansprechen, auch wenn immer behauptet wird, dass man dies ja nicht mehr dürfe.   

 

Hinzu kommt noch der immens steigende Druck durch Migration aufgrund von Flucht aus Kriegsgebieten und Regionen, in denen ein normales, menschenwürdiges Leben nicht mehr möglich ist. Das übersteigt jedoch zum Teil die Kraft von ganzen Kommunen, die mit diesen Problemen vom Bund allein gelassen werden. Aber diese Probleme wird man angesichts der sich ständig verschärfenden Weltlage weder mit der „Verstärkung der EU-Außengrenzen“, noch mit zweifelhaften Deals zwischen der EU und sogenannten Drittländern lösen können. Schon gar nicht lassen sie sich mit den einfachen Parolen der eben genannten Extremisten und Populisten beseitigen. Dazu gehört schon etwas mehr als nur nationalistisches Gebrüll und den Fingerzeig auf die „Schuldigen“.  

 

Auch die ansonsten bestehenden sozialen Probleme und die durchaus berechtigen Ängste vieler Menschen vor den vielfältigen Krisen sind Gründe für den Zulauf hin zu extremistischen und populistischen Parteien und deren Anführern. Das gilt übrigens für alle Länder und Regionen, in denen solche Entwicklungen zu beobachten sind. Grundursache all dieser Dinge sind aus meiner Sicht vor allem die Folgen einer jahrzehntelang verfolgten wirtschaftsliberalen Politik, die ausschließlich das Wohl einer kleinen Gruppe innerhalb der Gesellschaften im Blick hatte. Das Schlagwort „Shareholder Value“ galt als Markenzeichen und vor allem Antrieb verschiedenster Koalitionen (im In- und Ausland). Die Behauptung, wenn es „der Wirtschaft“ gut gehe, würde es auch der gesamten Gesellschaft ebenso ergehen, war und ist dabei das Totschlagargument gewesen.

 

Begleitet wurde dies mit dem Bestreben, solidarische Strukturen zu zerschlagen, eine vermeintliche Individualität (als Freiheit verkauft) zu hofieren, damit soziale Sicherungssysteme schlechtzureden und zu zerstören und gleichzeitig die Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen zu verunglimpfen und zu zwingen, für niedrigste Entgelte als Arbeitskräfte zur Verfügung zu stehen. Alles nur im Hinblick auf die Maximierung von privaten Gewinnen.

 

Diese Entwicklung ist in unterschiedlicher Intensität überall dort zu beobachten gewesen, wo jetzt die Gesellschaften gespalten sind und erodieren. Genau das machen sich die bereits genannten Schreihälse zu Nutze und so greifen sie Verunsicherungen und Ängste der Menschen auf, indem sie diese für ihre Zwecke kanalisieren. Aber Hass, Ausgrenzung, Populismus und Nationalismus können keine Antwort auf all die internationalen Probleme haben, die vor Grenzen keinen Halt machen.

 

Heilen lässt sich diese prekäre Situation aus meiner Sicht nur dadurch, dass wirklich alle Teile der Gesellschaft(en) bereit sind, sich an der Verteidigung der Demokratie und des sozialen Miteinanders, sowie des notwendigen Umbaus zu einer ökologischen und nachhaltigen Lebensweise zu beteiligen. Dafür sind unglaubliche Anstrengungen, Kapazitäten und Mittel notwendig, die jede und jeder bereit sein muss, sie mit einzubringen. Das alles nutzt zudem ja auch nur, wenn es nicht nur national, sondern weltweit akzeptiert und umgesetzt wird. Wie dies angesichts globaler geopolitischer Interessen einzelner Staaten, Eitelkeiten von Herrschenden, Machthunger von Despoten, Jahrzehnte aufgestautem Hass, Kriegen und letztlich privaten Interessen einiger Mächtiger funktionieren soll, weiß ich leider auch nicht. Vielleicht ändert sich ja doch etwas, wenn immer mehr Menschen anfangen, in ihrem privaten Umfeld solidarisch, ökologisch, sozial und empathisch zu denken und zu handeln, ohne daraus sogleich einen Vorteil für sich zu erwarten.

 

Ich bin mir aber sicher, dass es insgesamt eine sofortige und umfassende Kehrtwende geben muss, ansonsten rasen wir als Menschheit auf eine Katastrophe zu, von deren Ausmaß wir noch überhaupt keine Vorstellung haben …   

Frohes neues Jahr!                   


 

 

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