Die Zäsur des 29.

 

Der 29. Januar 2025 wird sich als Datum eines politischen Eklats in das Gedächtnis des deutschen Bundestages festbrennen, denn an diesem Tag hat die CDU/CSU unter ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz einen Tabubruch begangen, der bisher beispiellos in der parlamentarischen Geschichte der Bundesrepublik seit ihrer Gründung 1949 ist.

Trotz aller vorherigen Warnungen über Medienkommentare, direkter Ansprachen z.B. von Bundeskanzler Olaf Scholz oder Wirtschaftsminister Robert Habeck und anderer politischer Akteure hat Merz im vollen Bewusstsein in Kauf genommen, dass die Anträge der Union zu den Themen Begrenzung von Migration und Asyl mit den Stimmen der rechtsradikalen AfD eine Mehrheit gegen die politische Mitte bekommen. Genauso ist es dann auch passiert, wonach die Rechten im Parlament jubelten und die vielzitierte „Brandmauer“ gegen sie als eingerissen betrachteten.

Welchen Schaden diese Handlungsweise in der Folge noch hat, wird sich im Zuge der weiteren Umfrageergebnisse kurz vor der anstehenden Bundestagswahl sowohl für die AfD, als auch die CDU/CSU noch zeigen. Die Tatsache, dass das geplante „Zuwanderungsbegrenzungsgesetz“ dann am folgenden Freitag, 31.1.2025 nach hitzigen Debatten und etlichen Auszeiten keine Mehrheiten gefunden hat, wird die verursachte Beschädigung des Vertrauens in demokratische Strukturen sicher nicht so rasch heilen.

Das im Vorfeld zu diesem politischen Tohuwabohu vorangegangene furchtbare Verbrechen eines ausreisepflichtigen Afghanen, der mit einem Messer einen zweijährigen Jungen und einen erwachsenen Mann tötete, hat offensichtlich diesen Aktionismus bei Merz und seiner Partei ausgelöst. Wie so oft wird auch hier die abscheuliche Tat eines Einzelnen für politische Zwecke missbraucht und in entsprechende Handlungsweisen vor allem für den derzeitigen Wahlkampf opportunistisch eingesetzt.

Natürlich wurde und wird diese Tat in Aschaffenburg im Zusammenhang mit den anderen vorherigen Verbrechen z.B. in Magdeburg gebracht und ja, wir haben ein Problem mit manchen Menschen, die hierhergekommen sind und offenbar entweder schwer traumatisiert durch Kriegssituationen sind, oder fanatischen Ideologien anhängen und deshalb Attentate hier begehen. Dieses Problem ist vorhanden und man darf es weder verschweigen, noch in irgendeiner Form relativieren. Aber sie sind trotz aller Grausamkeiten und allem Wahnsinn, den sie als Ursache haben, weiterhin Taten von Einzelnen und bilden eben nicht den Querschnitt der Menschen ab, die geflüchtet und hergekommen sind.

Deshalb also nur aus populistischen Gründen gleich ein ganzes Grundrecht – nämlich das auf politisches Asyl – außer Kraft zu setzen, kann nicht die Antwort sein. Zudem auch noch europäisches Recht und somit die Union als solche infrage zu stellen, ist in Zeiten, in denen wir im Gegenteil weitaus mehr Einheit in Europa benötigen, die völlig falsche Zielrichtung.

Das alles weiß Merz mit Sicherheit auch und dennoch hat er sich gegen die politische Vernunft entschieden. Es wird also deutlich, dass sich bei ihm alles dem Wahlkampf unterzuordnen hat – koste es, was es wolle. Ob so jemand wirklich das Zeug dazu hat, in der aktuellen weltpolitischen Lage Kanzler der Bundesrepublik zu werden, möchte ich hier dringend bezweifeln.

Der eben bereits angesprochene Populismus breitet sich ohnehin schon ungebremst in der ganzen Welt aus. Merz scheint aktuell in vielen Dingen Donald Trump kopieren zu wollen – wohlwissend, dass sich einige der Anträge im Bundestag gar nicht oder nur mit sehr verzögerter Wirkung umsetzen lassen, weil sie eben europäischem Recht widersprechen oder nicht mal eben so rasch umsetzbar sind. Woher soll den beispielsweise das Personal der Bundespolizei kommen, dass nun plötzlich von heute auf morgen eine 3876 km lange Grenze lückenlos kontrollieren soll?

Was ist mit dem Schengen-Abkommen der EU und dessen Tatsachen des täglichen freien Reise-, Pendel- und Güterverkehrs innerhalb eben der EU-Staaten? Soll das alles außer Kraft gesetzt werden – mit entsprechend negativen Folgen für die Wirtschaft in Milliardenhöhe?

Das alles weiß er wie gesagt und beteiligt dennoch an dem falschen Spiel um die Wählergunst als vermeintlich starker Mann, um vor allem den rechten Rand zu bedienen und sich in Wahrheit damit ständig von der AfD vor sie hertreiben zu lassen. Sein Unionspartner Markus Söder beherrscht diese Klaviatur bekanntlich ebenso und regt sich in der medialen Öffentlichkeit bei Carmen Miosga zur besten Sendezeit mit gespielter Entrüstung auf, dass es hier doch darum gehe, dass „ein Kind getötet wurde“ und er dann die Frage stellt, wie lange sich SPD und die Grünen das denn „noch anschauen wollten“.

An dieser Stelle möchte ich gern mal an ein weiteres Kind erinnern – nämlich an den kleinen syrischen Jungen Alan Kurdi, der vor der türkischen Küste ertrunken war und dessen Bild am Strand von Bodrum um die Welt ging und zu Recht furchtbares Entsetzten und Betroffenheit damit auslöste. Dieses Bild sollte man sich bei der ganzen Debatte um Zurückweisung und Aussetzen von Grundrechten auf Asyl immer mal wieder in Erinnerung rufen, bevor man sich theatralisch in Talk-Shows in Szene setzt, Herr Söder.

Im Grunde ist die ganze Entwicklung in Richtung rechte Wählertendenzen, um deren Gunst es ja am Ende schließlich hierbei geht, nichts anderes als eine leider vorhersehbare Folge der bereits von mir oft an dieser Stelle beschriebenen Politik der letzten Jahrzehnte. Die Beschneidung des Staates und seiner hoheitlichen Aufgaben gehörte beinahe in jeder Regierung seit Helmut Kohls „geistig-moralischer Wende“ immer zum guten Ton. Reduzierung von Steuern vor allem für Reiche und Unternehmen hat trotz aller aktueller Jammerei der bekannten Lobbyverbände aus Wirtschaft und Industrie stetig stattgefunden. Die Vermögenssteuer wurde ausgesetzt – mit der falschen Behauptung, das Bundesverfassungsgericht hätte dies so angeordnet – und die Sozialsysteme wurden durch Billigjobs und prekäre Beschäftigungsverhältnisse, sowie durch die aktive Förderung privater Gesundheits- und Rentenbausteinen zu Gunsten von großen Versicherungsunternehmen dauerhaft torpediert.

Die Lasten der Unterkunft von Flüchtlingen werden ebenso wie viele andere Aufgaben den vollkommen überlasteten und verschuldeten Kommunen aufgebürdet, während Infrastruktur, Schulen, Bäder, Theater usw. darunter leiden und vielfach gar nicht mehr nutzbar oder vorhanden sind. Unter diesen täglich sichtbaren Bedingungen bildet sich natürlich genau die soziale Verunsicherung der Menschen, somit auch die Existenzangst und am Ende ein gnadenloser Konkurrenzdruck zwischen gesellschaftlichen Gruppen und Schichten. Die vermeintlich einfachen Antworten rechter Populisten und Demagogen verfangen (leider) in solch einem Klima hervorragend.

Dass es bei einer weitaus gerechteren Verteilung der Steuerlasten und auch der erwirtschafteten Gewinne und Vermögen (inzwischen existiert die aus meiner Sicht schon perverse Summe von neun Billionen Euro Privatvermögen!), bei einer ausreichenden Belegung staatlicher Aufgaben mit entsprechendem Personal, der Wartung und Pflege der Infrastruktur, einer tatsächlich gewollten und praktisch umgesetzten Integration von Menschen und einem funktionierenden Sozialsystem unter Nutzung wirklich aller Einkommensarten zu einer deutlichen Verbesserung der Stimmung der Menschen käme, wäre natürlich zunächst zu beweisen.

Doch eine gerechtere Politik, ohne das Schielen auf das jeweils eigene Klientel, wird sich leider aus realistischer Sicht so schnell nicht umsetzten lassen. Dazu müsste es vielmehr Charakter und Ehrlichkeit auf der politischen Bühne geben. Mit dem Zersetzen der Demokratie wird das aber auf keinen Fall gelingen. Der 29. Januar 2025 war leider eine Zäsur genau dafür und Friedrich Merz hat das zu verantworten.              

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