Sie beißen um sich

 

Längere Arbeitszeiten, Rente erst mit 70, weniger Kündigungsschutz und natürlich der Angriff auf das Bürgergeld. Das sind die Rezepte, mit denen derzeit mal wieder die sogenannten Wirtschaftsweisen und Teile der Bundesregierung auf Nebelkerzensafari gehen. Daran soll schließlich die Wirtschaft gesunden, die durch die geopolitische Weltlage ins Strudeln geraten ist.

Die Hauptverfechter solcher neoliberalen Mantras sind Wirtschaftsradikale wie Veronika Grimm oder auch Bundeswirtschaftsministerin Katharina Reiche, die als Oberlobbyistin der Energiewirtschaft ihren Einzug in die Bundesregierung gefunden hat. Fern jeden Skrupels werden beinahe im Tagestakt die sozialpolitischen Grausamkeiten als alternativlos dargestellt. Dabei ist kein Argument zu dämlich, als dass man es nicht doch anbringen kann. So erklärt Grimm in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe am 13. November, dass der Kündigungsschutz ArbeitnehmerInnen davon abhalten würde, in die Firmen zu wechseln, die sie wirklich bräuchten. Als wären Menschen eine Ware, die man einfach so von A nach B schaufeln kann, wenn sie dort gerade benötigt werden. Die Bedürfnisse der Betroffenen sind offensichtlich völlig egal.

An solchen Beispielen erkennt man sogleich, welchen Wert Menschen bei Grimm und ihren MitstreiterInnen besitzen: nämlich gar keinen. Sie sind offenbar lediglich wirtschaftliche Verfügungsmasse. Aber auch die anderen Instrumente wie das immer wieder herbeigeredete höhere Rentenalter (angepasst an ein angeblich längeres Leben) und mit dem real nicht existierenden demographischen Wandel begründet, haben die gleiche Ideologie als Grund. Natürlich ist es kaum möglich, ArbeitnehmerInnen bis zum 70ten Lebensjahr zu beschäftigen. Die allermeisten Unternehmen zumindest der Industrie nutzen alle Instrumente, um ältere Beschäftigte loszuwerden, weil die Errichtung von alternsgerechten Arbeitsplätzen und eventuelle Hilfsmittel viel zu teuer für sie sind. Von daher sind solche Forderungen nichts anderes, als Rentenkürzungen durch die Hintertür, denn es gäbe deutlich höhere Abschläge für jedes Jahr, das man eher in den Ruhestand geht.

Auch die fadenscheinige Behauptung, wir würden in Deutschland nicht lang genug arbeiten (die dann mit Statistiken über durchschnittliche Arbeitszeiten in Europa untermauert wird, die weder die Produktivität, noch die tatsächlich geleistete Arbeit in Stunden/Monat aufzeigen), gehört in diese Kategorie. Retten kann man den für Deutschland so wichtigen Export damit nicht und auch den Protektionismus solcher Länder wie China und die USA werden damit mit Sicherheit nicht gebändigt.  

Doch was ist denn der Grund für diese auffällige Häufung an Themen, welche die Sozialleistungen und das Arbeitsrecht schleifen wollen? Ganz einfach, das Kapital merkt in solchen Krisenzeiten vermehrt, dass die fetten Jahre der Exportweltmeisterschaft vorüber sind und nun werden alle Instrumente hervorgeholt, die dazu führen, dass doch noch etwas mehr Rendite übrigbleibt – nämlich durch die erhoffte Kürzung von Sozialbeiträgen und die bessere Ausbeutung der Ware Arbeitskraft durch weniger Schutznormen. Selbst vor den Familien von ArbeitnehmerInnen wird nicht haltgemacht. So fordert der Bundesverband Deutscher Arbeitgeber (BDA) die Abschaffung der Familienversicherung bei der Krankenversicherung. Den sollten die Familienmitglieder der Beschäftigten künftig selbst bezahlen. Die damit gesparten (und übrigens von den Beschäftigten erarbeiteten Sozialbeiträge) will man einsacken und erzeugt damit auch faktisch Lohnkürzungen auf Kosten der übrigen Gesellschaft.

Es wird also derzeit nach allen Seiten um sich gebissen, um die Vermögen zu verteidigen und die Renditen irgendwie zu erhöhen. Eine ähnliche Situation hat es übrigens zu Beginn der 1980er Jahre ebenfalls gegeben, als die Regierung von Kanzler Helmut Kohl ans Ruder kam und die „geistig-moralische Wende“ ausrief, die im Grunde die selben Instrumente anwandte. Am Ende bleibt diese ganze Sache der Ausfluss aus der wirtschaftlichen schweren Krise und somit wird es zu einer Auseinandersetzung der unterschiedlichen Interessen in diesem Land. Nur leider haben diejenigen mal wieder die Lufthoheit darüber, deren Sprecherinnen und Sprecher in den Verbänden, Medien und Parteien ihren Willen tun. Sie beißen um sich…       

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