Der Sündenfall Brosius-Gersdorf
Mehrere Themen beherrschen die Medien derzeit neben den
vielen geopolitischen Meldungen – zumindest auf deutscher Ebene. Sie zeigen aus
meiner Sicht mal wieder deutlich auf, wie Stimmungen und Meinungen durch
gezielte Kampagnen negativ beeinflusst und gesteuert werden können.
Ein besonders krasses Negativbeispiel ist die Diskussion
um die von der SPD favorisierten Kandidatin für das Richteramt am Bundesverfassungsgericht,
Frauke Brosius-Gersdorf, deren Wahl im Parlament des Bundestages am letzten Tag
vor der Sommerpause krachend gescheitert ist. Hintergrund war und ist die
Weigerung einer Anzahl von CDU- und CSU-Abgeordneten aus der Fraktion, den
zuvor im Koalitionsausschuss verabredeten drei Kandidatinnen und Kandidaten die
Stimme zu geben – zumindest nicht Brosius Gersdorf, die durch eine unsägliche
Kampagne rechter und rechtsextremer Netzwerke in ein völlig falsches Licht
gerückt wurde.
Angefangen beim Onlineportal „Nius“ des ehemaligen „Bild“-
Chefredakteurs Julian Reichelt, der die Kampagne startete und zu Widerstand aufrief,
weil die Kandidatin angeblich eine „Linksradikale“ sei. Es folgten die weitere
Steuerung der rechten Hetzjagd mittels vorgefertigter und bereitgestellter Onlineformulare,
mit denen man eine Petition gegen die Wahl der Juristin unterzeichnen konnte, was
vor allem Abtreibungsgegnerinnen und -gegner ansprach. Die Vorwürfe bezüglich
ihrer liberalen Haltung zu diesem Thema, zur Impfpflicht in der Coronapandemie
und weiterer politischer Ausrichtungen wurden dann noch durch fragwürdige
Plagiatsvorwürfe (ein inzwischen gängiges Mittel zur Verunglimpfung von
Personen in der Öffentlichkeit) ergänzt.
Auch die AfD wurde dabei tätig, ist doch bekannt, dass
die Kandidatin einem Verbot der rechtsextremen Partei aufgeschlossen gegenübersteht.
Diese Kampagne erreichte somit in kürzester Zeit eine regelrechte Flut
negativer Agitationen inklusive Morddrohungen gegen Brosius-Gersdorf, wie sie
bei Markus Lanz öffentlich kundtat. Doch auch Vertreter der katholischen Kirche
meinten sich bei dem Thema noch einmischen zu müssen. Ausgerechnet der aufgrund
des Verdachtes von Vertuschung vieler Missbrauchsfälle innerhalb seines
Wirkungskreises in die Kritik geratene Kardinal Rainer Maria Woelki meldete
sich dabei zu Wort und pries den Schutz des ungeborenen Lebens. Welche
Vorlieben etliche seiner Glaubensbrüder beim geborenen Leben gezeigt haben, ist
leider hinlänglich bekannt.
Insgesamt also eine mehr als verachtenswerte Umgangsweise
mit einer möglicherweise für Konservative unbequemen Kandidatin, die jedoch
alles andere als linksradikal oder -extrem ist. Vielmehr handelt es sich um
eine angesehene und erfahrene Juristin, die umgehend Unterstützung von
zahlreichen Kolleginnen und Kollegen ihres Faches in Form von offenen Briefen
an den Bundestag und die Medien erhielt. Dass sich konservative Abgeordnete der
Union von der Kampagne angesprochen fühlten und so koalitionsinterne Absprachen
sprengten, zeigt aus meiner Sicht die aktuelle Situation in der Bundesregierung
auf. Ich hatte schon in meinem jüngsten Text „Ich habe es doch gleich gesagt“
auf die vielen unterschiedlichen politischen Ansichten zwischen den
Koalitionspartnern hingewiesen, die Sprengkraft besitzen, die schwarzrote
Koalition scheitern zu lassen – dies hier scheint ein Thema davon zu sein. Die
Aufforderung ausgerechnet vom offensichtlich gescheiterten Unions-Fraktionsvorsitzenden
Jens Spahn an die SPD, doch einen anderen Namen für das Richteramt zu benennen,
zeigt diese Schwachstelle noch deutlicher auf. Wenn eine Kampagne rechter
Netzwerker bereits einen derartigen Einfluss auf Entscheidungen des Bundestages
hat, dann muss man sich in der Tat die Frage stellen, wie angreifbar unsere
Demokratie inzwischen geworden ist. Zwar versuchte u.a. auch Bundeskanzler Friedrich
Merz die Wogen zu glätten und das ganze möglichst niedrig aufzuhängen, aber in
Wahrheit ist dieser einzigartige „Sündenfall“ im Parlament ein absoluter Eklat
und spielt den radikalen Kräften in die Karten – möglicherweise zum heimlichen Gefallen
einiger Abgeordneter innerhalb von CDU/CSU.
Es bleibt dabei spannend, wie dieses Problem innerhalb
der Koalition gelöst werden soll. Einen Rückzieher der SPD würde das Ansehen
der ohnehin stark geschwächten Partei, die derzeit bei nur noch mageren 13 % in
den Umfragen steht, noch weiter beschädigen. Ob aber die Verweigerer innerhalb
der Union sich in der Sommerpause disziplinieren lassen, bleibt fraglich. Am
Ende wird sich zeigen, ob das gesamte Konstrukt dieser Regierung überhaupt noch
trägt, kaum dass sie ins Amt gekommen ist.
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