Selbst schuld, Friedrich!

 

Nachdem der Bundestag und auch der Bundesrat mit jeweils Zweidrittelmehrheiten das Finanzpaket zur Lockerung der Schuldenbremse und dadurch mögliche Kreditaufnahmen von rund einer Billion Euro genehmigt haben, scheint die Politik wohl endlich in der Realität angekommen zu sein.

Eine sehr große Koalition aus den Unionsparteien, der SPD, aber auch der (teilweise künftigen) Opposition der Grünen, sowie der Linken in der Länderkammer haben den Beschluss gefasst und damit sowohl ein rund 500 Milliarden Euro großes Kreditprogramm für die Aufrüstung der Bundeswehr, als ebenso eines zur dringend notwendigen Sanierung von Infrastruktur in allen Bereichen ermöglicht. Zuvor hatte es im Bundestag durch die Grünen, die für die notwendige Zweidrittelmehrheit des noch amtierenden Parlamentes benötigt wurden, noch Korrekturen im Hinblick auf Investitionen zugunsten des Umbaus der Energieerzeugung und weiterer Themen gegeben.

Es mussten also eine breite Mehrheit für dieses Vorhaben hergestellt, und somit auch die entsprechenden Kompromisse erzeugt werden, um ans Ziel zu kommen. Jetzt könnte man genau dieses im Grunde positive Beispiel für zukünftige politische Entscheidungen hernehmen; zeigt es doch, dass man durchaus Ergebnisse bei solch wichtigen und komplexen Themen erzielen kann und dass die sogenannte politische Mitte handlungsfähig ist, wenn sie demokratisch agiert (mal ganz abgesehen von Markus Söder, dem das populistische Gepolter gegen die Grünen am politischen Aschermittwoch offensichtlich wichtiger war, als vernünftiger Umgang unter Demokraten).

Das bereits genannte Erwachen in der Realität ist an dieser Stelle vor allem im Hinblick auf die Unionsparteien und deren Kanzlerkandidaten Friedrich Merz gemeint. Hatten CDU und CSU doch vor etwas mehr als einem Jahr der sogenannten Ampelregierung das Leben durch eine erfolgreiche Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Bezug auf ein sogenanntes Sondervermögen von rund 100 Milliarden Euro für den ökologischen Umbau der Energieerzeugung schwer gemacht, so musste man jüngst nach der Wahl zugeben, dass man für die eigene anstehende Regierung zusammen mit der SPD das etwa Zehnfache benötigt.

Noch bevor Merz überhaupt zum Bundeskanzler gewählt wurde, hat er mit dieser 180 Grad-Wende im Gegensatz zu seinen Wahlkampfaussagen bereits viel Kredit in der Bevölkerung verspielt, obwohl sich laut ZDF-Politbarometer eine Mehrheit von rund 70% der Menschen in Deutschland für die Lockerung der Schuldenbremse und damit verbundenen Investitionen ausspricht. Kritisiert wird dabei offensichtlich eher der „Wortbruch“ als solcher, als der Inhalt des jetzt erfolgten politischen Handelns.

An dieser Stelle kann man einfach nur ausrufen: „Selbst schuld, Friedrich!“ Genau diese Diskrepanz zwischen tatsächlich schon seit langer Zeit notwendigen Erhaltens der Infrastruktur (Schienen, Straßen, Brücken, Schulen, öffentliche Gebäude, Energiewende etc.) und des bisherigen gegenteiligen Handelns und Argumentierens der vor allem konservativen Parteien erzeugen diesen Widerspruch – man könnte auch sagen, fällt ihnen nun kräftig vor die Füße. Genau das ist das Ergebnis, wenn man immer wieder von Steuererleichterung und Entlastung faselt, dabei zumeist die sogenannten starken Schultern der Gesellschaft im Blick hat und dementsprechend den Blick auf notwendige Ausgaben trübt und dann irgendwann durch einstürzende Brücken, marode Straßen und auch durch die geopolitische Weltlage plötzlich deutlich wird, dass es doch etwas kostet, einen Staat handlungsfähig zu halten.

Die entscheidende Frage ist jetzt natürlich noch, wie sich die Milliarden zukünftig verteilen und ob sich die Koalitionspartner in spe auch dabei auf einen Kompromiss einigen können, der allen gesellschaftlichen Gruppen zugutekommt und vor allem alle notwendigen Weichen gestellt werden. Das Thema Aufrüstung möchte ich an dieser Stelle nur kurz streifen, denn es ist in der Tat eine bittere Erkenntnis für einen eigentlich überzeugten Pazifisten, dass angesichts der Weltlage die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und Europas offenbar neu gedacht werden müssen. Sehr wahrscheinlich dürften die angedachten 500 Milliarden Euro dafür noch gar nicht ausreichen.

Die andere Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist die soziale. Wie wird künftig von der baldigen, und künftigen Regierungen angesichts der hohen Kreditsummen gehandelt? Nimmt man wieder den Bereich um die Sozialversicherungen mit Kürzungsvorhaben oder allgemeinen Verschlechterungen der Leistungen in den Blick? Müssen Gruppen wie die Bürgergeldempfänger als Sündenböcke herhalten, wie Merz das bereits im Wahlkampf immer wieder getan hat?

Aus meiner Sicht darf genau das nicht geschehen. Zum einen muss die ganze Argumentation um die Notwendigkeit der Schuldenaufnahme vollkommen neugestaltet werden. Sie ist eben nicht mit der Belastung der künftigen Generationen verbunden, wenn man jetzt eine hohe Summe für nötige Investitionen aufnimmt – es zeigt nur deutlich, wie notwendig (und teuer) dies inzwischen durch die bisherigen Versäumnisse geworden ist und was man den besagten künftigen Generationen ansonsten für ein marodes Land hinterlassen würde, wenn man es jetzt nicht endlich anginge. Ein Bundeshaushalt mit seinen komplexen Inhalten, Zusammenhängen und Wechselwirkungen aus Schuldenaufnahme und damit wieder generierten Einnahmen durch Steuern und Abgaben ist halt doch nicht mit dem der sprichwörtlichen schwäbischen Hausfrau zu vergleichen, wie die konservative und neoliberale Politik den Menschen immer platt weismachen wollte.

Zweitens darf es ebenfalls nicht zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft durch die vermeintlich einfache Antwort des Sparens im Sozialbereich kommen. Es muss sich vielmehr endlich einmal die Erkenntnis durchsetzen, dass sich angesichts der wirtschaftlichen, geopolitischen und sozialen Situation in Deutschland und Europa alle mit ihrer jeweiligen Leistungsfähigkeit an der Finanzierung des demokratischen und sozialen Staates beteiligen müssen. Wohin der bisherige Weg einer ausschließlich den wirtschaftlichen Interessen einer kleinen Elite dienenden Politik am Ende führt, kann man aktuell an der rasanten Entwicklung der USA von einer Demokratie hin zu einer autokratischen Diktatur durch eine Riege von völlig enthemmten und deregulierten Milliardären und deren Helfershelfern erkennen.

Wenn sich diese Erkenntnis nicht endlich mal bei allen Beteiligten – auch bei Merz und seiner Partei – durchsetzt, dann nutzt am Ende auch das größte Finanzpaket nichts. Es geht hier nicht um Geld allein, wie der wahrscheinlich künftige Bundeskanzler sehr richtig erkannt hat. Es geht um die Rettung demokratischer und sozialer Strukturen in einer Welt, in der das leider um uns herum nicht mehr selbstverständlich ist.                     

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