Nachgeschärft

 

Die jüngst von der sogenannten Großen Koalition beschlossene Reform der Arbeitslosenversicherung in Form des Bürgergeldes, das ab sofort Grundsicherung heißen soll, ist derzeit ein zentrales Themenfeld in der Handlungsweise der Regierung aus CDU/CSU und SPD. Auffällig dabei ist vor allem nach dem gemeinsamen Beschluss der Parteien die unterschiedliche Deutung dieser Entscheidung. Sieht die Union sich offenbar darin bestätigt, dass das unbeliebte Bürgergeld „endlich Geschichte“ sei, wie es z.B. der bayrische Ministerpräsident Markus Söder, aber auch Bundeskanzler Friedrich Merz ausgedrückt haben, so hebt die Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas von der SPD hervor, es habe lediglich „einige Nachschärfungen“ gegeben.

 

Die Kritik an der Umsetzung dieser Entscheidung erfolgt von Seiten der Sozialverbände und der Gewerkschaften. Die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi hat deutlich gemacht, dass die aus ihrer Sicht ungerechtfertigte Verschärfung der Sozialgesetzgebung Bestandteil einer neoliberalen Agenda der Regierung ist, gegen die sich die Gewerkschaften wehren würden. Sehr zutreffend kritisiert sie in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass sich die derzeitigen wirtschaftlichen Probleme des Landes mit derartigen Maßnahmen nicht bewältigen lassen.

 

Idiologisch vorbereitet wurde dieses politische Vorgehen durch Lobbyverbände, Medien und Aussagen der politischen Protagonisten bereits seit Monaten mit den üblichen tendenziösen und zum Teil falschen Argumenten. Wieder einmal wurde der vermeintliche faule und betrügerische Arbeitslose als Begründung bemüht, das von der Ampel-Koalition ins Leben gerufene System des Bürgergeldes infrage zu stellen. Neben der Behauptung, „wir könnten uns das alles nicht mehr leisten“ wurde der Missbrauch der Leistung durch kriminelle Clans mittels aus Osteuropa eingeschleuste Billigarbeitskräfte dargestellt, die Scheinbeschäftigung zu Minijobbedingungen erhielten und dann zum Kassieren von Aufstockungsleistungen gezwungen werden würden, die sie anschließend an die Kriminellen abzugeben hätten. Zudem wurden die sogenannten Totalverweigerer hervorgehoben, die Termine ignorieren und jedes Angebot von Arbeit ablehnen würden.

 

All diese Fälle mag es in der Tat geben und sie müssen auch verhindert und bekämpft werden. Dafür reichen aber mit Sicherheit die bestehenden Gesetze, bzw., man sollte sich einmal näher mit ihnen befassen und darauf schauen, weshalb sie überhaupt missbraucht werden können. Nach wie vor ist es ja gerade das Vorhandensein von Mini- und Billigbeschäftigungen, die solche kriminellen Missbräuche erst ermöglichen. Ich hatte das bereits in meinem Text „Ich habe es ja gleich gesagt“ (bjoern-harmening-ebooks) beschrieben. In Summe gibt es bei den rund fünf Millionen Beziehern des bisherigen Bürgergeldes etwa 800.000, die ihr Entgelt aufstocken müssen, weil es nicht zum Leben reicht. Solche Löhne dürfte es eigentlich gar nicht geben, die bei Vollzeitbeschäftigung nicht ausreichen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.

 

Die weitere Aufteilung der Bezieher reicht von minderjährigen Kindern und Jugendlichen (1,5 Millionen), Menschen in Qualifizierungsmaßnahmen (ebenfalls fast 1,5 Millionen) über solche, die aufgrund ihrer familiären Situation oder Krankheiten nicht arbeitsfähig sind. Erwerbslos sind von den genannten fünf Millionen etwa 1,8 Millionen, von denen ein verschwindend geringer Anteil von 0,6% mit Sanktionen aufgrund von Versäumnissen wie verpasster Termine etc. belegt wird. Umgerechnet also ca. 15.000 Personen von fünf Millionen, die auf Hilfe angewiesen sind. Natürlich sollte auch dieser sehr kleine Teil an Missbrauch der Sozialsysteme verfolgt und beseitigt werden. Aber das wird mit Sicherheit nicht dazu führen, dass es zu nennenswerten oder gar systemrelevanten Entlastungen der Arbeitslosenversicherung und am Ende des Bundeshaushaltes kommt. Die „vielen Milliarden“, die der Generalsekretär der CDU, Carsten Linnemann hier verspricht, werden auf keinen Fall dadurch eingespart.  

 

Und genau an dieser Stelle muss wieder die Kritik der DGB-Bundesvorsitzenden Fahimi aufgegriffen und unterstützt werden. Die gezeigte Analyse der tatsächlichen Situation rund um die Sozialleistung macht doch deutlich, dass es sich nicht um eine Maßnahme handelt, welche die aktuelle schwierige Wirtschaftslage auch nur im Ansatz in irgendeiner Weise positiv beeinflussen kann. Weder werden sich die wichtigen, aber durch die politischen Gegebenheiten der dortigen Regierungen protektionistisch abgeschotteten Märkte in den USA und China dadurch verändern, noch verbessert sich die (zum Teil selbstverschuldete) Lage in den vom Export abhängigen Branchen wie der Automobilindustrie, dem Maschinenbau und dem Stahl. Das sind aktuell geopolitische Umstände, auf die eine nationale Regierung im Alleingang ohnehin nur sehr wenig Einfluss hat. Was also ist denn der Grund für diese Vorgehensweise?

 

Aus meiner Sicht ist es eine Mischung aus dem Versuch, Handlungsfähigkeit zu suggerieren und neoliberale Ideologien weiterzuverfolgen. Es wird vorgetäuscht, dass man die insgesamt schwierige wirtschaftliche Lage in Deutschland und Europa durch entsprechende Maßnahmen in den Griff bekäme und setzt seine Angriffe auf die Sozialsysteme mit dem Ziel fort, Menschen möglichst zu jeder Bedingung in Beschäftigung zu zwingen, um somit der Wirtschaft billige Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen, die durch ihre schlechten Löhne zumindest zum Teil die entgangenen Renditen ausgleichen sollen.

 

Die Unionsparteien versuchen damit ihr konservativ-neoliberales Profil zu schärfen, während die SPD jetzt mit beschwichtigenden Floskeln, wie die der genannten Ministerin Bas („lediglich nachschärfen“) versucht, ihre weiterhin schwindende Wählerschaft in irgendeiner Weise zu besänftigen. Doch gerade die sogenannten Sozialdemokraten werden durch diese Politik erneut geschwächt und können wahrscheinlich in naher Zukunft einem einstelligen Ergebnis bei den Wahlen entgegensehen. Den vielen Zumutungen, die durch die neue Grundsicherung auf die Menschen zukommen – hier sei nur beispielhaft der Zwang zum Umzug aus vermeintlich zu teuren Wohnungen genannt – werden weitere bei den anderen Sozialsystemen wie der Rente, der Pflege und der Krankenversicherung folgen. Auch dafür werden bekanntlich schon seit längerer Zeit die entsprechenden Kampagnen in den Medien und der Politik gefahren.

 

Die vermeintliche Unbezahlbarkeit der Leistungen, der angebliche demographische Wandel, der behauptete vielfache Missbrauch – all das sind die Vorspiegelungen falscher Tatsachen, mit denen uns die aktuelle Regierung, aber auch die sogenannten Wirtschaftsweisen, die konservativen Medien und weitere Interessengruppen konfrontieren. Nutzen wird den genannten Parteien dies am Ende aber aus meiner Sicht keinesfalls. Die weitere Spaltung der Gesellschaft speist nur die radikalen Ränder, vor allem den der AfD. Diejenigen, die von den Maßnahmen betroffen sind, werden sich dafür rächen, sofern sie sich noch an Wahlen beteiligen. Diejenigen, die auf die fadenscheinigen Argumente reinfallen und das begrüßen, dass die „faulen Arbeitslosen“ endlich herangezogen werden, wählen im Zweifel lieber das „Original“ und die ohnehin schon an die Radikalen verlorenen Wählerschaften werden sich nur bestätigt fühlen.

 

Diese Politik führt somit in den Untergang der Demokratie. Anstatt unsinnige Stellvertreterthemen und populistische Narrative zu bedienen, bedarf es angesichts der aktuellen Lage stattdessen einer Wirtschafts- und Sozialpolitik, die diesen Namen auch verdient. Mit den uralten neoliberalen Rezepten aus der Mottenkiste der 1980er Jahre kommen wir nicht weiter. Wir brauchen z.B. niedrige Energiepreise – nicht nur für die Wirtschaft, auch für die Privatverbraucher. Wir brauchen deutliche Investitionen in Infrastruktur und nicht rückwärtsgewandte Wahlgeschenke für eine kleine Klientel wie beispielsweise den Agrardiesel oder die Mütterrente. Und wir brauchen eine einheitliche europäische Vorgehensweise angesichts der geopolitischen Lage. Politische Nebelkerzen mit der Konzentration auf das Zurückdrängen sozialer Standards führt vielleicht zu kurzzeitigem Applaus einiger Lobbyverbände, aber das wird dieses Land mit Sicherheit nicht voranbringen. Da hilft auch kein „Nachschärfen“.                 

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