Die Stunde der Schreihälse
Fast hat man sich schon an sie gewöhnt: die verbalen und
politisch-amoralischen Ausfälle von Donald Trump, der kurz vor der
Amtseinführung zu seiner zweiten Präsidentschaft in den USA steht. Seine
teilweise lächerlichen Aussagen, die gespickt sind mit Lügen und Hetze gegen
Andersdenkende und allen, die ihm und seinen egoistischen Zielen im Weg stehen.
Das jüngste Beispiel ist wieder einmal eine Tirade von
Postings, die er auf seinem eigenen sogenannten sozialen Netzwerk mit dem
heuchlerischen Namen „Truth Social“ zu den furchtbaren Bränden in und rund um
Los Angeles in Kalifornien herausrotzt – anders kann man es nicht mehr bezeichnen.
Die Politiker dort wüssten nicht, wie man richtig löscht, schreibt er und fragt:
„was ist nur los mit ihnen?“, als würde jemand von der kommunalen- oder der Regierung
des Bundesstaates selbst die Schläuche der Feuerwehren dort führen.
Der Hintergrund für diese Hetze ist die Tatsache, dass
Kalifornien von den Demokraten regiert wird und Trump natürlich die Feuerkatastrophe
ausnutzt, um Stimmung gegen Gavin Newsom, den amtierenden Gouverneur damit zu
machen. Was die bis zur Erschöpfung gegen die Flammen kämpfenden Feuerwehrleute
und die vielen freiwilligen Helferinnen und Helfer wohl über solche widerlichen
Aussagen denken, scheint den künftigen Präsidenten offenbar nicht zu interessieren.
Dieses Extrembeispiel zeigt jedoch deutlich, wie die Populisten
agieren. Dort wo eigentlich Hilfe und Empathie notwendig sind, nutzen sie jede
Situation zu ihren Gunsten aus, wenn es hilfreich ist. Das Schlimme daran ist,
dass es immer mehr werden und sie sich in der jüngsten Zeit überall
auszubreiten scheinen. Ich würde fast schon von einer populistischen Pandemie
sprechen, die wie eine Plage durch die Welt zieht. Es ist die Stunde der
Schreihälse.
In Deutschland nimmt diesen Platz natürlich die AfD und
namentlich derzeit ihre Vorsitzende Alice Weidel ein, die jüngst zur
Kanzlerkandidatin ihrer Partei für die bevorstehende Bundestagswahl nominiert
wurde. Weidel macht keinen Hehl mehr aus dem rassistischen und
rückwärtsgewandten Parteiprogramm und will sogar gleich „alle Windkrafträder –
die Windräder der Schande“ niederreißen – etwas weniger lächerlich und albern scheint
bei ihr wohl nicht mehr zu funktionieren.
Die Riege solcher Politikerinnen und Politiker und ihr
Gebaren ließe sich leider immer weiter fortführen und sie erhalten von den Wählerinnen
und Wählern ständigen Zulauf trotz der Tatsache, dass man doch eigentlich
erkennen müsste, wie unfähig oder unwillig diese Leute in Wahrheit sind,
wirkliche Lösungen für Probleme aufzuzeigen. Als augenscheinliches Beispiel
sollte doch die zu Beginn der Coronakrise völlige Unfähigkeit der AfD dienen,
in irgendeiner Form auch nur ansatzweise hilfreiche Beiträge zu der damaligen
Situation zu leisten – und wenn es auch nur konstruktive Kritik gewesen wäre.
Eines ihrer Lieblingsthemen, nämlich der Hetze gegen
Ausländer und Flüchtlinge beraubt, weil eben damals nicht im Fokus des
öffentlichen Interesses, blieben die rechten Protagonisten wochenlang still und
wie von der Bildfläche verschwunden. Erst als erste Verschwörungstheorien
einiger wirrer Unverbesserlicher in die Öffentlichkeit drangen, fand die AfD wieder
ihre Stimme und blies ins selbe Horn. So etwas kann eine Gesellschaft in dieser
Situation brauchen, wie einen entzündeten Blinddarm.
Doch die Frage bleibt natürlich, weshalb so viele
Menschen diesen Demokratiefeinden so zugetan sind oder sich so leicht davon
einfangen lassen? Weshalb wählen z.B. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine
Partei, die mit Sicherheit alles tut, aber nicht die Interessen der Beschäftigten
vertritt? Im Gegenteil, die AfD ist neben ihrem bekannten Rassismus in der Arbeits-
und Wirtschaftspolitik zudem auch noch extrem neoliberal, wenn auch sehr naiv
in ihren Forderungen nach Rückbau der Erneuerbaren Energieformen oder dem Ausstieg
aus der Eurozone, welche der deutschen Wirtschaft riesigen Schaden verursachen
würden.
Also, weshalb fallen die Menschen auf diese falschen
Propheten herein? Aus meiner Sicht ist die Antwort so simpel wie zugleich komplex:
Die Leute haben eine Politik satt, die seit Jahrzehnten in unterschiedlicher
Ausprägung aber in immer der gleichen Ausrichtung nur die Interessen der
Reichen und der Wirtschaft vertritt. Sie verspüren die Folgen von Sozialabbau, Entsolidarisierung
und das gegeneinander ausspielen der unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen. Diese
Politik führt zu Ängsten vor dem sozialen Abstieg – unabhängig davon, auf
welchem Niveau sich das Individuum befindet. Auf diese Weise verfangen die
Hinweise auf „Schuldige“ besonders gut und das ist einer der Hauptgründe für
den Zulauf, den die Rechtspopulisten erhalten. Das bedeutet aber auch, dass die
Menschen auf Verführer hineinfallen, die es eigentlich noch schlimmer treiben,
als diejenigen, deren Handeln sie in die Arme der politischen Rattenfänger führen.
Anhand des aktuellen Wahlkampfes kann man übrigens sehr
gut erkennen, dass die Instrumente der vergangenen Jahrzehnte noch immer
hervorragend funktionieren. Nicht nur anhand des Versuches der Konservativen,
rechte Parolen in abgeschwächter Form zu kopieren, um die entsprechenden
Wählerstimmen für sich zu vereinnahmen (was zumeist nicht funktioniert). Nein, ganz
aktuell kann man das an den Beißreflexen auf Robert Habecks Vorschlag erkennen,
Kapitalerträge sozialversicherungspflichtig zu machen, um damit zusätzliche
Beiträge zu generieren.
Kaum hat er es gewagt, diesen Vorschlag auszusprechen,
kommen sofort all die Bewahrer des Status Quo ihrer Klientel aus der Deckung
und feuern aus allen Rohren auf den (noch) Wirtschaftsminister und
Spitzenkandidaten der Grünen. Die Pseudoargumente können nicht fadenscheinig
genug sein, um sie nicht umgehend über alle Kanäle in die Öffentlichkeit zu
blasen. Entsprechende Kommentare in den Medien, Wirtschafts- und Anlegerverbände,
sogenannte Wirtschaftsweise und Politiker der einschlägigen Parteien, sie alle
weisen auf die „armen Sparer“ hin, die Habeck jetzt abzocken wolle. Zudem drohe
die „Zwangsmitgliedschaft“ in den gesetzlichen Kassen für diejenigen, die doch
privat versichert seien und „Eigenverantwortung“ übernehmen würden.
Auch hier kommen wieder die Schreihälse hervor und
arbeiten im Grunde mit denselben Mitteln, wie die rechten Populisten. Verdrehte
Tatsachen und falsche, verlogene Behauptungen, die nur dem Zweck dienen, diejenigen
zu schützen, die sich zumeist aus der solidarischen Finanzierung des
Sozialstaates heraushalten und nicht beteiligen, aber seine angenehmen Seiten
für sich in Anspruch nehmen. Die gleiche öffentlich gemachte Empörung hätte ich
mir mal bei den Forderungen nach Abschaffung des Bürgergeldes zur
Disziplinierung der „faulen“ Arbeitslosen gewünscht.
Auf eine Besserung dieser Zustände zu hoffen, ist
wahrscheinlich naives Wunschdenken, denn die Menschen müssen erst am eigenen Leib
erleben, welche Folgen es hat, Leuten wie Trump oder Weidel das Vertrauen zu
schenken und zu meinen, dass die auch nur den Hauch eines Interesses (abgesehen
von der nicht vorhandenen Kompetenz) besitzen, die Probleme der Menschen und
die Herausforderungen der Regierung eines Landes in die Hand zu nehmen. Wer
glaubt denn wirklich ernsthaft, dass ein mehrfach wirtschaftlich gescheiterter
und nur durch Erbschaft reich gewordener Milliardär mit egomanischen
Charaktereigenschaften und einer grundrassistischen, menschenverachtenden und
frauenfeindlichen Einstellung wirklich die Interessen der US-amerikanischen
Bevölkerung im Blick hat? Wer ist der Meinung, dass eine ehemalige Finanzmarktanalystin
von Goldmann & Sachs, die aus steuerlichen Gründen in der Schweiz lebt,
tatsächlich eine vernünftige und soziale Politik für Deutschland machen möchte?
Aber solange keine wirkliche soziale und gerechte Politik
für die Mehrheit der Menschen gewollt ist, solange Bildung, demokratische und
soziale Erziehung und Chancengleichheit nicht oberste Priorität erhalten,
solange Finanzmarktakteure vermeintlich wichtiger sind, als Pflegerinnen und
Pfleger, solange Menschen mit niveaulosen Fernsehprogrammen abgelenkt und verblödet
werden, solange Infrastruktur, Schulen, Sportplätze, Schwimmbäder und andere
soziale Einrichtungen aufgrund jahrzehntelanger Vernachlässigung verfallen und
solange man gesellschaftliche Gruppen gegeneinander aufhetzt, solange werden
die Schreihälse auch Gehör finden.
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