Von Überzeugungen und öffentlichen Meinungen
Vieles, von dem man über Jahre oder gar Jahrzehnte überzeugt war, wird dieser Tage über den Haufen geworfen. Meine grundpazifistische Einstellung beispielsweise und die Überzeugung, dass der „böse Russe“ eigentlich immer ein Klischee der Konservativen und Altvorderen gewesen ist, mit dem man versuchte Wehrdienstverweigerer zu diskreditieren und die Rüstungsindustrie zu hofieren, die zur Klientel dieser Leute gehörte und noch immer gehört.
Jetzt ist der Russe mit seinem brutalen Angriffskrieg auf
die Ukraine aber tatsächlich böse und die alten Überzeugungen weichen leider der
offensichtlichen Notwendigkeit, dass man als Land und als Europa wohl auch im
Jahr 2022 und zukünftig wehrhaft sein muss und dafür die notwendigen Mittel zur
Finanzierung bereitgestellt werden müssen – übrigens ein Versäumnis ausgerechnet
derjenigen, die ihre Ideologie des schlanken Staates, der an allen Stellen so
weit wie möglich heruntergefahren werden müsse, über Jahrzehnte auch bei der
Bundeswehr ausgelebt haben. Die dauernden Rufe nach Steuersenkungen und „Entlastungen“
vor allem für die Unternehmen und die rein betriebswirtschaftliche Betrachtung und
Handlungsweise in allen Bereichen haben diesen Staat nicht nur in dem Sektor
der Verteidigung teilweise handlungsunfähig gemacht.
Doch ausgerechnet diejenigen, die das mit zu verantworten
haben, stimmen nun ein in den Chor der Kritik an der SPD-geführten
Bundesregierung und am Kanzler. Jetzt bin ich mit Sicherheit (immer noch) nicht
derjenige, der diese Regierung insgesamt und die SPD im Speziellen für alles,
was sie tut, verteidigen würde. Doch die damit einhergehende Heuchelei und die so
offensichtlich hervortretende Schwarzweißmalerei in der öffentlichen Debatte,
gehen mir gewaltig gegen den Strich. Deshalb dieser Text hier.
Bei aller offensichtlichen Notwendigkeit des
Verteidigungsrechtes der Ukraine und der armen, bedauernswerten Menschen dort,
haben wir hier aus meiner Sicht verdammt nochmal immer noch das Recht, die
Frage nach geeigneten Maßnahmen gegen einen Krieg, der sich scheinbar nicht
durch die aktuellen Sanktionen verhindern lässt, offen zu diskutieren. Diese
dauernden und unbedingten Forderungen nach „schweren Waffen“ und den darin
mitschwingenden Vorwürfen gegenüber Scholz, „nicht genug zu tun“, die vor allem
von den Medien der Springerpresse angeführt werden, baut bei mir inneren
Widerstand auf. Die Art und Weise, wie man die Diskussion schon wieder in die
Richtung lenkt, dass all diejenigen, die ihre Bedenken äußern oder Fragen
stellen sogleich halb als Verräter gebrandmarkt werden, finde ich zum kotzen.
Ich weiß nicht, in wieweit die Bundesregierung und mit
ihr all diejenigen Mitglieder im Sicherheitsausschuss des Bundestages, die sich
mit diesen Fragen auseinandersetzen, tatsächlich zu zögerlich oder gar aus
parteitaktischen Gründen so oder so handeln. Ich glaube jedoch nicht, dass ein Kanzler
der Bundesrepublik Deutschland, der sich in einer solchen Krise mit allen Nato-Partnern
wahrscheinlich ständig in Abstimmung befindet, sich einfach mal so aus der Verantwortung
schleicht, weil man Putin angeblich immer noch „zu nahesteht“ oder auf Gerhard
Schröder Rücksicht nehmen müsse, wie die Medien es dauernd an die Wand malen.
Ich weiß auch nicht, welche Waffen für wen wann und in
welcher Zahl geeignet sind und geliefert werden können. Welche
Ausbildungsstände vonnöten sind, um sie im Einsatz zu nutzen. Welche Länder
innerhalb der EU und der Nato was derzeit liefern oder es eben nicht tun. Ich
bin – im Gegensatz zu vielen ehemaligen Bundestrainern und Virologen dieses
Landes, die jetzt auf Verteidigungsminister umschulen – nicht der Experte für
solche Fragen. Und ich kann mich zudem auch in der Vergangenheit trotz meines
politischen und wirtschaftlichen Interesses nicht daran erinnern, dass in der
Zeit vor dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine irgendeine relevante
Stimme die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas und Erdöl infrage gestellt
hätte.
Sehr wohl kann ich mich daran erinnern, dass in allen
Belangen immer die möglichst von moralischen Bedenken in ihrer Funktion unbehelligte
Wirtschaft, der freie Zugang zu Rohstoffen (egal woher und unter welchen
Umständen) und die Erreichung möglichst der Exportweltmeisterschaft Deutschlands
eine große Rolle im Feuilleton aller führenden Gazetten und Magazinen dieses
Landes und auch in der zumeist konservativen und (neo)liberalen Politik gespielt
haben. Das war bis vor Kurzem noch die Ersatzreligion, die in der veröffentlichten
Meinung dieses Landes ständig gepredigt wurde und nichts durfte dem im Weg
stehen. Diese verlogene Besserwisserei im Nachhinein und die Hetzjagd auf
diejenigen, die dem Anspruch der Ökonomie bisher nachgekommen sind, sind
beinahe unerträglich. Das übrigens auch angesichts der Tatsache, dass alle (seit
Jahrzehnten geäußerten) Hinweise auf die Notwendigkeit vom Ausbau alternativer
Energiegewinnung bis dato von den gleichen Meinungsmachern und politischen
Leitfiguren dieses Landes als „grüne Spinnerei“ abgetan wurden.
Bei all diesen derzeitig die aktuelle Lage
kommentierenden und die öffentliche Meinung beherrschenden Diskussionen bleibt
mir nur zu verdeutlichen, dass ich nach wie vor nicht vorhabe, die Rüstungsindustrie,
welche die derzeitige Situation natürlich ausnutzt und ihre Profite ausweitet,
plötzlich als moralisch etabliert zu betrachten, nur weil ihre Vorstände den
Zeitgeist nutzen und öffentlich ihre Produkte anzupreisen, als würde es sich
dabei um das Heil der Menschheit handeln.
Ich bin auch nicht bereit, Atomkraft und die Verlängerung
der Laufzeiten – wie von einigen Ewiggestrigen gefordert – als angebliche Alternative
zum russischen Gas zu akzeptieren. Mit dieser Debatte versuchen einige eine
Technologie zu hofieren und wieder salonfähig zu machen, die nach wie vor unbeherrschbar
in ihren Gefahren ist, deren Nachlässe in Form von strahlendem Müll noch immer
nicht sicher entsorgt werden können und für deren Sozialisierung der Risiken
diese Gesellschaft schon Milliarden an Steuergeldern bezahlt hat, während die
Gewinne weiterhin privatisiert bleiben.
Genauso bin ich nicht bereit, lediglich die Finanzierung
der Bundeswehr mit den geplanten 100 Milliarden Euro als gegeben zu akzeptieren
und ansonsten immer nur von der verantwortlichen Politik (aller Parteien!) zu
hören, dass für die anderen notwendigen Themen in sozialen und ökologischen Bereich
aus Gründen der Haushalts- und Schuldendisziplin seit Jahren kein Geld
vorhanden ist.
Und letztlich bin ich auch nicht bereit, meine
grundsätzliche Überzeugung von der Notwendigkeit eines friedlichen
Zusammenlebens aller Menschen und Nationen über Bord zu werfen, weil ein
ideologisch offenbar vollkommen verblendeter Despot jede Hemmung verloren hat
und seine Nachbarn in einen brutalen Krieg zwingt. Ich bin fest davon
überzeugt, dass es eine Welt nach Putin gibt und dass es dann wieder Annäherung
und Diplomatie geben muss. Mir ist allerdings auch klar, dass diese Zeit jetzt
nicht ist.
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