Der Fall (der) Baerbock
Der Fall (der) Baerbock
Nun also auch die TAZ. Das Fachmagazin für
linkskonservatives Geschwurbel meldet sich in der ständig von den Medien am
Kochen gehaltenen Diskussion um die Kanzlerkandidatin der Grünen zu Wort und
fordert ernsthaft, dass sie aufgeben und ihrem ehemaligen internen Konkurrenten
Robert Habeck den Platz räumen soll – gute zehn Wochen vor der Bundestagswahl.
Solche „Tipps“ aus den Reihen der Journale braucht jede Kandidatin und jeder
Kandidat wie einen entzündeten Blinddarm.
Hintergrund ist die seit Wochen andauernde Kampagne gegen
Baerbock, die ich in einem früheren Post hier übrigens schon vorhergesagt habe.
Nun muss man aber wahrhaftig kein Prophet sein, um schon bei der damaligen
Bekanntgabe der auserkorenen Spitzenkandidatin der Grünen gewusst zu haben, dass
es zu solch einer Jagd auf tatsächliche oder vermeintliche Verfehlungen seitens
ganz bestimmter Kreise kommen würde. Man muss lediglich die politische
Entwicklung hier im Land beobachten. Mein Hinweis auf die damalige ähnliche
Entwicklung beim SPD-Kandidaten Martin Schulz, der medial vom
EU-Spitzenpolitiker zum gescheiterten Buchverkäufer aus Würselen
herabdegradiert wurde, erfüllt sich derzeit durch die absichtlich moralisch
skandalisierten und hochgepuschten Berichte über zumindest Schönfärberei des
Lebenslaufes und aktuellen Plagiatsvorwürfen gegen das kürzlich erschienene
Buch Baerbocks.
Erschreckend an der ganzen Sache finde ich persönlich
zunächst die offensichtlich riesige Naivität, mit der das anscheinend
vollkommen überforderte Team der Kandidatin und sie selbst seit ihrer Ernennung
agieren. Wenn man sich angesichts der zu erwartenden Angriffe von Seiten
konservativer, gut vernetzter und extrem reaktionärer Politiker, Parteien und
Medien so dermaßen schlecht vorbereitet und fehlerhaft ins Feuer eines
Bundestagswahlkampfes begibt, dann zeugt das von einer dilettantischen,
geradezu fahrlässigen Handlungsweise der Frauen und Männer, die Baerbock
beraten und ihr als FachreferentInnen und AssistentInnen eigentlich hilfreich zur
Seite stehen sollen.
Natürlich hat sie „ihr“ Buch nicht selbst geschrieben.
Inzwischen glauben ja alle Politikerinnen und Politiker – wie auch alle
tatsächlichen oder angeblichen Prominenten, dass es praktisch zum „guten Ton“
gehört, ein paar mehr oder weniger klug gefüllte Buchseiten zwischen
Pappdeckeln und dem eigenen Konterfei auf dem Cover vorweisen zu können. Statt
jedoch seine Gedanken tatsächlich selbst unter hohem Zeitaufwand zu Papier zu
bringen (ich weiß, was das bedeutet), wird das Fachreferat und möglicherweise
ein Ghostwriter beauftragt, etwas zu erstellen, was in ihrem Fall offenbar eine
eher lieblos und hektisch zusammengeschusterte Textsammlung aus Reden von ihr
selbst und Anderen, sowie nicht als Zitat gekennzeichnete Aussagen aus anderen
Texten geworden ist. Und genau dieses Ergebnis wird nun genüsslich von allen
möglichen Seiten (ob nun im Auftrag oder nicht) auseinandergenommen. Eitelkeit
hat halt ihren Preis – und der könnte in diesem Fall sehr hoch sein.
Ebenso erschreckend ist jedoch angesichts dieser
Ereignisse wieder die Erkenntnis, dass das Demokratieverständnis der bereits
genannten Kreise so ersichtlich degeneriert ist, dass insgesamt und regelmäßig
zu solchen Mitteln der destruktiven Niedermachung einer politischen Gegnerin
gegriffen wird. Die Vereinnahmung der Öffentlichkeit mit den tatsächlichen oder
vermeintlichen Skandalen durch „BILD“, dem „Fokus“ der „Welt“ und anderen
Gazetten geht einher mit der subtilen Übernahme dieses Themas auch durch die
übrigen Medien.
Dabei interessiert nur oberflächlich (wenn überhaupt),
dass z.B. Baerbocks Gegenkandidat Laschet offensichtlich ein viel
weitreichenderes Repartiere an Skandalen, Fehltritten und auch geschönten
Momenten in seinem Lebenslauf hat, als beispielsweise die grüne Kandidatin. Der
Mann ist vor allem durch katholische Seilschaften und einflussreiche
Verwandtschaften in seine Position gekommen und nimmt Leute wie Friedrich Merz
in sein Team auf, die mit undurchsichtigen und steuerlich zumindest
fragwürdigen Finanzmarkttransaktionen von sich reden machten und dabei
idiologisch so weit vom Durchschnitt der Bevölkerung entfernt sind, wie der
Mond von der Erde.
Eine Partei, innerhalb der zahlenmäßig nicht unerheblich
viele Mitglieder während der Pandemie Profit aus dem Verkauf oder der
Vermittlung von Hilfsmitteln wie Masken machten, die angesichts ihrer hohen
Nebenverdienste verdeutlichen, dass sie sich von Lobbyisten vereinnahmen lassen
oder deren Interessen selbst vertreten, statt Politik für alle Menschen im Land
zu machen, oder die regelmäßig mit rechtsnationalen und populistischen
Äußerungen Übelkeit bei jedem demokratisch gesonnenen Betrachter hervorrufen,
zeigt mit dem Finger auf Baerbock und ruft: „steinigt sie“. Eine noch
penetrantere und widerlichere Heuchelei kann ich mir kaum vorstellen, als bei
dieser Bande von politischen Pharisäern.
So lange sich die Mehrheit der Menschen hierzulande
jedoch von solchen halbseidenen Gestalten, nur weil sie als angebliche Wirtschaftsfachleute
und Retter des hochheiligen ewigen Wachstums (und des Abendlandes) ins rechte
Licht gerückt werden, blenden lassen, so lange werden auch solche Kampagnen
gegen eine progressivere und ökologisch orientierte Politik Erfolg haben. Wenn
Baerbock und ihr Team das nicht erkannt haben und die Lage nicht richtig einschätzen
können, haben sie aus meiner Sicht vollkommen versagt. Trotzdem sollte sie den jetzt
vielfältig aufflammenden Forderungen nach ihrem Rücktritt nicht nachkommen,
denn dann das wäre wirklich endgültig ihr und der Grünen Fall.
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