Joe ante portas

Joe ante portas – was geschieht nach Trump? Die Frage nach dem Sieg von Joe Biden bei der US-Präsidentenwahl 2020 ist inzwischen deutlich beantwortet worden. Sie wurde durch die durchaus spannende Aufholjagd des Demokraten gegenüber dem aktuellen Präsidenten vor allem in Pennsylvania, Nevada und selbst im Südstaat Georgia entschieden. Die derzeitige Weigerung des noch Amtsinhabers, seine Niederlage einzugestehen und stattdessen in aller Öffentlichkeit von Betrug und Verschwörung zu palavern, hat selbst bei seinen Anhängern und bei vielen republikanischen Mandatsträgern zu deutlicher Kritik an Trump und seinen Aussagen geführt. 

Inzwischen berichten viele Medien schon von dem Versuch seiner Berater, ihn davon zu überzeugen, einen friedlichen Machtwechsel mit Joe Biden zu vollziehen, wenn dessen Sieg sich endgültig aus dem Ergebnis der Wahl ergibt. Dieser Machtwechsel wird höchstwahrscheinlich dank der offenbar trotz vier Jahren Trump-Regierung noch immer funktionierenden Administration in Washington einigermaßen zivilisiert umgesetzt. Das viel befürchtete Chaos und die etlichen apokalyptischen Szenarien werden hoffentlich nicht stattfinden, weil die Institutionen noch vorhanden sind – und auch weil die Weltöffentlichkeit zuschaut. Das kann man am ehesten an den vielen Verantwortlichen beobachten, die sich der Demokratie verpflichtet fühlen und beispielsweise die eingegangenen Wahlzettel unbeirrt weiterzählten, egal welcher Partei sie angehörten oder welche sie selbst bevorzugten. 

Wenn man also davon ausgeht, dass Biden auch nach allen noch folgenden juristischen Scharmützeln gewinnt und ab Januar 2021 der 46. Präsident der USA sein wird, dann stellt man sich natürlich automatisch die Frage, was sich dann ändern wird? Die ist ja inzwischen auch schon in der medialen Diskussion in Talkrunden und Nachrichtensendungen mehrfach gestellt worden und hat zu reichlich Spekulation auch in Deutschland geführt. Der diplomatische Ton werde sich wieder positiv verändern, die USA würden wieder internationale Verpflichtungen übernehmen und ihre Partner wieder ernst nehmen, heißt es da. In der Tat wird wohl ein Präsident Joe Biden aufgrund seiner Persönlichkeit und seines sozialen Hintergrundes ein vollkommen anderes Bild abgeben, als der infantile, teilweise wie ein Soziopath handelnde, unberechenbare Donald Trump es getan hat. Höchstwahrscheinlich wird aber auch Biden weiterhin eine protektionistische Wirtschaftspolitik (buy american) betreiben und die Nato-Partner ebenfalls auffordern, mehr für die „Verteidigung“ auszugeben. 

Viel interessanter ist aus meiner Sicht jedoch die Frage, wie er es anstellen will, das tief gespaltene Land mit offensichtlich zwei sich in ihrer Lebensart, ihrer Denkweise und ihrem Verhalten vollkommen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zu vereinen. Wie beinahe unmöglich das erscheint, kann man sich angesichts des offen zutage tretenden Hasses betrachten, mit dem sich die jeweiligen Anhänger der Republikaner und der Demokraten gegenüberstehen. Die Tatsache, dass die Menschen dabei Waffen aller Art besitzen dürfen und diese selbst in den Wahllokalen offen trugen, macht das mit Sicherheit nicht einfacher. Rassismus, soziale Ungleichheit und eine Ignoranz der sogenannten Eliten demgegenüber lassen sich nicht so einfach fortwischen. Dabei wird deutlich, dass Donald Trump mit seiner vierjährigen Regierung nicht etwa die Ursache der tiefen Spaltung dieser Nation ist, sondern höchstens ein Symptom des politischen Systems. Sein Sieg bei der Präsidentenwahl vor vier Jahren gegen Hillary Clinton kam sowohl für die Demoskopen, als auch die sogenannte liberale Gesellschaft in den USA vollkommen überraschend. Niemand hat das offenbar ernst genommen, bis es geschehen war. 

Über die Ursachen gibt es mittlerweile haufenweise Analysen und Aufsätze; angefangen bei der Tatsache, dass Clinton zu einem tatsächlich in den Staaten vorhandenen, abgehobenen Establishment einiger reicher Familien gehört, die keinen Anklang bei einem Großteil der Menschen dort mehr finden, bis dazu, dass Trump zwar keinerlei Empathie vor allem für sozial schwächere Leute besitzt, aber dennoch den „richtigen“ Ton im Wahlkampf gefunden hatte. Seine vor allem auf nationalistische Themen abgestimmtes Programm (Mauerbau gegen Einwanderer, „Amerika first“ und „make Amerika great again“) hat genau den Nerv einer großen Zahl an Menschen getroffen, die unter der Politik leiden, die seit vielen Jahrzehnten nur durch wirtschaftliche Interessen gesteuert und von den beiden großen Parteien in unterschiedlicher Dosis, aber immer der gleichen Richtung betrieben wurde. Der Zerfall der US-amerikanischen Industrie (Autobau, Stahl) hat tiefe Wunden bei der Schicht der Arbeiter hinterlassen. 

Die Mittelschicht wird zwischen ungeheurem Reichtum und einer ebensolchen Armut aufgerieben und die Angst vor dem sozialen Abstieg ist in den USA noch stärker (und leider zurecht) vorhanden, als beispielsweise in Europa. Trump konnte ihnen tatsächlich vorspiegeln, dass er als Multimillionär, der in seiner Freizeit in Florida gern Golf spielt und sich auch ansonsten alle Annehmlichkeiten der reichen Elite der USA gönnt, nicht zum eben schon beschriebenen Establishment gehört und dagegen anzukämpfen vorgab. Und genau das wirft die Frage auf, was danach kommt? Zu den beschriebenen Bedingungen gesellt sich noch der durch die Historie dieses Landes bedingte Unterschied an Lebensgewohnheiten (städtische und ländliche Gegenden, Nord und Süd, mittlerer Westen, Küstengebiete) und die teilweise vollkommen absurde Ablehnung selbst ärmerer Bevölkerungsschichten vor einem Sozialstaat mit entsprechenden Absicherungen hinzu. 

Die durchaus positiven Folgen des sogenannten „New Deals“ des damaligen Präsidenten Roosevelt, welchen er von 1933-38 nach der Weltwirtschaftskrise in den USA einführte, und welcher zu einem starken Anstieg der Beschäftigung und somit zur Kaufkraft und wirtschaftlichen Erholung führte, ist heute offenbar nicht mehr in der Erinnerung der amerikanischen Gesellschaft verankert. Man kann also anhand der Entwicklungen in den USA beobachten, wohin eine mit neoliberalen Ideen gespickte und unter dem filzigen Muff eines faktisch seit Jahrhunderten regierenden Zweiparteiensystems leidende Politik am Ende führt, wenn es keine Aussicht auf soziale Veränderung gibt und der sogenannte amerikanische Traum nur eine Karotte ist, die den Menschen ständig vorgehalten wird. 

Von daher bleibt die Frage bei der Tatsache, dass sich Biden ante portas befindet, was sich wohl dadurch ändern wird? Ich zumindest bin zunächst einmal froh darüber, dass der unberechenbare Egomane aus dem Weißen Haus auszieht, aber auch reichlich gespannt, wie sich Amerika unter Biden und seiner scheinbar progressiven Vizepräsidentin Harris entwickelt.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Krieg der Klassen

Lieber Trash statt Bildung

Er ist leider wieder da ...