Und Friede auf Erden?
Gedanken zur Zeit
OK, ziehen wir doch mal gegen Ende des Jahres Bilanz der derzeitigen tagespolitischen Lage: nach den schrecklichen Terroranschlägen von Paris hat der französische Präsident Holland von einem Angriff auf Frankreich gesprochen und der Terrororganisation „Islamischer Staat“ den Krieg erklärt, was er offensichtlich wörtlich meint. In diesem Zusammenhang wurde für drei Monate der Ausnahmezustand ausgerufen und die demokratischen Bürgerrechte in Frankreich eingeschränkt.
Hierzulande wird aufgrund einer Terrorwarnung ein Fußball-Länderspiel abgesagt. Über die näheren Hintergründe schweigen sich die zuständigen Politiker auf Bundes- und Landesebene aus und deuten lediglich an, dass sie entsprechende Hinweise hätten, die bis heute noch nicht näher bezeichnet wurden – wahrscheinlich, weil ein Teil der Antworten uns verunsichern würde!
Inzwischen fordert Präsident Holland u.a. Deutschland auf, mehr Engagement beim „Kampf gegen den Terror“ zu zeigen und stößt damit prompt bei Bundeskanzlerin Merkel auf offene Ohren. In aller Kürze wird entschieden, dass deutsche Soldaten nicht nur im Bürgerkriegsland Mali (ehemals franz. Kolonie und nur ganz zufällig reich an Rohstoffen wie seltene Erden, etc.) Frankreich „entlasten“, sondern sich nun auch am Einsatz in Syrien beteiligen – und zwar in sogenannten Aufklärungsflügen mit sechs der typischen Aufklärungsflugzeuge Tornado, die nur ganz zufällig auch als Bomber zu gebrauchen sind.
Bundeswirtschaftsminister Gabriel verteidigt unterdessen den gesteigerten Waffenexport in 2015 gegenüber 2014 und differenziert dabei, dass es sich hierbei zu einem Großteil „nur“ um Waffenlieferungen an befreundete Staaten wie Großbritannien und Israel handeln würde und zudem vielfach „nur“ U-Boote, Schusswesten und Transportflugzeuge exportiert werden würden. Zudem beruft er sich in einer Podiumsdiskussion im Braunschweiger Dom darauf, dass man z.B. Waffen an die kurdischen Truppen liefern musste, um damit einen drohenden Völkermord zu verhindern. Außerdem müsse man den „IS“ jetzt bekämpfen, was auch Bundesverteidigungsministerin von der Leyen aktiv befürwortet.
Ich werde bei dieser ganzen martialischen Kriegs-Rhetorik das Gefühl nicht los, dass man es kaum noch erwarten kann, endlich wieder aktiv mitzumischen und man das Attentat auf Paris (und ebenfalls die breite Empörung über das abgesagte Fußballspiel) nun dazu nutzt, um entsprechende Akzeptanz für den verdächtig rasch durch alle Instanzen durchgepeitschten Einsatz zu erhalten. Ein ebenso breites Echo der Befürwortung wird durch beinahe die gesamte Presse getragen. Kritik oder Mahnung findet kaum statt.
Und während sich hierzulande die schon immer vorhandene latente Fremdenfeindlichkeit eines Teils der Bevölkerung Luft in den abgrundtief naziverseuchten Pöbelveranstaltungen von Pegida & Co. oder der rechtsnationalen AfD macht, versinkt ein anderer Teil in die glühweinselige Vorweihnachts-Kommerzzeit. Gleichzeitig wird dem deutschen Volk jeden Tag in der öffentlichen Berichterstattung die theatralisch auf Shakespeare-Niveau herbeigeredete „Katastrophe“ der Flüchtlingszahlen und damit verbundenen „Gefahren“ und Bedenken auf das medienkonsumgerechte Butterbrot geschmiert. Zusätzlich scharf gewürzt wird das Ganze von stammtischaffinen Politikern sogenannter demokratischer Parteien, wie Markus Söder, der sich nicht mal mehr dafür schämt, die Flüchtlinge mit den Terroristen in einen Topf zu schmeißen und somit die eigentlichen Ursachen für die Flucht dieser Menschen völlig ignoriert und ad absurdum führt.
Die Kanzlerin bemüht sich derweil, der zumindest für sie angedachten Nominierung des Friedensnobelpreises gerecht zu werden und wehrt sich gegen die Anfeindungen in ihrer eigenen CDU oder der Schwesterpartei CSU. Gleichzeitig lässt sie sich aber mit dem türkischen Teilzeitdespoten Erdogan ein, der die Aufgabe bekommt, die „Außengrenzen der EU“ abzusichern – was nichts anderes bedeutet, als dass man die Flüchtlings“welle“ endlich loswerden möchte. Die Rolle der Türkei in der Auseinandersetzung in und um Syrien und dem „IS“ ist dabei so zwiedeutig, wie es eindeutig ist, dass Erdogan die Demokratie in seinem Land immer weiter zurückstutzt und politische Gegner beseitigen lässt. Die EU umarmt den plötzlich so wichtig gewordenen „Partner“ aber trotzdem gern, obwohl sie die Türkei zuvor für viele Jahre in Bezug auf eine Mitgliedschaft in der Gemeinschaft immer am langen Arm verhungern ließ.
Die Kunst als Beobachter dieses politischen, vor Heuchelei, Kriegslüsternheit und Lügen triefenden Gebildes ist es, sich selbst soweit zu beherrschen, dass man morgens noch sein Frühstück bei der Lektüre der Zeitung im Magen behalten kann, ohne dass man es dieser ganzen Bande von (Un-)Verantwortlichen am liebsten ins Gesicht kotzen möchte?
Wer, Monsieur Holland, glaubt denn noch ernsthaft an einen Sinn des „Krieges gegen den Terror“? Seit dem 11. September 2001 wurde dieser Krieg ausgerufen und in die Länder Irak, Afghanistan und Syrien getragen. Und was hat es genutzt? Lediglich der Destabilisierung der gesamten staatlichen Struktur mit den entsprechenden Folgen. Das Attentat auf Paris war wie gesagt furchtbar für die Menschen. Aber glauben Sie wirklich, sie würden den Opfern mit einem Krieg gerecht, in dem es noch mehr Opfer geben wird? Was ist das für eine perverse Logik?
Der „IS“, Herr Gabriel, ist nicht entstanden, weil man dort mal Bock hatte, eine neue Form des Terrors auszuprobieren. Der ist eben durch diese Destabilisierung – durch Krieg und Zerstörung und somit der Perspektivlosigkeit einer ganzen Generation entstanden. Das soll keine Rechtfertigung für die Taten dieser religiösen Brachialhinterwäldler sein. Aber dort, wo überhaupt keine Strukturen mehr vorhanden sind, haben (pseudo-)religiöse Fanatiker leichtes Spiel mit den Menschen. Zumal diese ihre Waffen nicht selbst hergestellt haben, sondern sie u.a. von ihren Gönnern in Saudi-Arabien erhielten, Herr Gabriel, die wiederum von Deutschland gut und gern beliefert werden, denn das ganz zufällig ölreiche und deshalb Narrenfreiheit besitzende Land gehört zu den Hauptabnehmern deutscher Waffen. Das zu verhindern gilt es zunächst, bevor man sich in öffentlichen Diskussionen hinstellt und die Moralkeule des drohenden Völkermordes schwingt.
Ja ich weiß, spätestens an dieser Stelle kommt dann das Argument, dass Pazifismus einen Hitler nicht aufgehalten hätte und dass die faschistische Diktatur vielleicht noch heute existieren würde, hätten die Alliierten sie nicht gestoppt. Die Frage dabei ist, was wäre geschehen, wenn die Siegermächte des I. Weltkrieges nicht aus egoistisch-wirtschaftlichem Interesse die damalige Weimarer Republik so sehr geknebelt hätten, dass sich diese junge Demokratie niemals richtig entwickeln konnte, sondern wenn man diese Demokratie aktiv unterstützt hätte? Das sind angesichts der Historie sicher rhetorische Fragen, aber es kommt immer darauf an, an welcher Stelle man anfängt, Zusammenhänge und Folgen darzustellen. Genauso kommt es heute darauf an, die Folgen des jeweiligen Handelns zu betrachten.
Frau Merkel – es ist ja recht überraschend und auch positiv zu bewerten, dass Sie endlich mal nach über 10 Jahren im Amt deutliche Position beziehen und bei Ihrem Standpunkt bleiben, ohne gleich wieder auf die Wählergunst zu schielen und umzufallen. Anhand der Reaktionen aus den konservativen Reihen Ihrer eigenen Partei“freunde“ können sie nun übrigens erkennen, was Ihr politisches „Handeln“ bisher wert gewesen ist, als es immer ruhig blieb. Aber es reicht bei Weitem nicht „wir schaffen das“ auszusprechen und immer zu wiederholen, wenn dann nicht die entsprechende Politik folgt.
Ja, wir könnten die Integration der vielen Flüchtlinge durchaus ableisten. Wir haben die Ressourcen, das Geld, den Platz dazu, noch viel mehr Menschen hier aufzunehmen. Aber dafür müsste man eben die Ressourcen und das Geld entsprechend dorthin leiten, wo beides benötigt wird. Und das bedeutet, dass man den sehr hohen Reichtum dieses Landes gerechter verteilt. Dass man endlich wieder eine Sozialpolitik umsetzt, die diesen Namen auch verdient. Dass man wieder Wohnungen im großen Stil zu erschwinglichen Preisen baut. Dass man in Bildung investiert. Dass man die Länder und Kommunen mit entsprechenden Mitteln ausstattet. Dass man Arbeitsplätze schafft (z.B. durch eine generelle Arbeitszeitverkürzung für alle). Und vor allem, dass man sich traut für diese schwierige, existenzielle, gesamtgesellschaftliche Aufgabe dort Steuern und notfalls auch Anleihen zu erheben, wo sich das Kapital in den vergangenen Jahrzehnten extrem angehäuft hat. Und dass man darüber auch nicht die eigenen Bedürftigen im Lande aus dem Blick lässt, die unter der bisherigen Politik gelitten haben.
Das alles wäre notwendig, Frau Merkel, damit wir das schaffen. Die Frage ist nun nur noch, ob Sie das auch schaffen, das in Ihren Reihen einzufordern und durchzusetzen?
Stellt sich also nun noch die Frage: wie soll es weitergehen in diesem Land, in der EU, in der Welt? Wieder einen Krieg führen, der erneut zu Hass und Widerhass mit den entsprechenden Folgen führt? Damit weitere Flüchtlingsströme auslösen und Millionen von Menschen in dieses Leid schicken? Hierzulande weiter tatenlos zuschauen, wie eine rechtsextreme Pöbelkultur sich langsam zum politischen Mainstream wandelt, während sich einige Vertreter dieser braunen Brühe dazu berufen fühlen, sich zu radikalisieren und „im Namen des Volkes“ zu brandstiften?
Oder wollen wir endlich eine Mehrheit der Anständigen, der Friedfertigen und der Vernünftigen bilden, die sich deutlich äußert und den politischen Hasardeuren innerhalb und außerhalb der Parlamente enge Grenzen aufzeigt oder sie in die Schranken weist? Ich weiß, dass das ein langer und schwieriger Weg ist und dass manchmal alles sinn- und hoffnungslos erscheint. Ich habe auch keine Antwort darauf, wie man die vielfältigen Interessen der einzelnen Akteure in den aktuellen Auseinandersetzungen entflechtet und sie zum Gespräch zwingt, statt zum Krieg. Aber dem sich immer weiter ausbreitenden Chaos einfach nur zuzuschauen und darüber zu verzweifeln, ist überhaupt keine Option. Genau wie Krieg, Hass und Fremdenfeindlichkeit auch keine sind.
Björn Harmening
OK, ziehen wir doch mal gegen Ende des Jahres Bilanz der derzeitigen tagespolitischen Lage: nach den schrecklichen Terroranschlägen von Paris hat der französische Präsident Holland von einem Angriff auf Frankreich gesprochen und der Terrororganisation „Islamischer Staat“ den Krieg erklärt, was er offensichtlich wörtlich meint. In diesem Zusammenhang wurde für drei Monate der Ausnahmezustand ausgerufen und die demokratischen Bürgerrechte in Frankreich eingeschränkt.
Hierzulande wird aufgrund einer Terrorwarnung ein Fußball-Länderspiel abgesagt. Über die näheren Hintergründe schweigen sich die zuständigen Politiker auf Bundes- und Landesebene aus und deuten lediglich an, dass sie entsprechende Hinweise hätten, die bis heute noch nicht näher bezeichnet wurden – wahrscheinlich, weil ein Teil der Antworten uns verunsichern würde!
Inzwischen fordert Präsident Holland u.a. Deutschland auf, mehr Engagement beim „Kampf gegen den Terror“ zu zeigen und stößt damit prompt bei Bundeskanzlerin Merkel auf offene Ohren. In aller Kürze wird entschieden, dass deutsche Soldaten nicht nur im Bürgerkriegsland Mali (ehemals franz. Kolonie und nur ganz zufällig reich an Rohstoffen wie seltene Erden, etc.) Frankreich „entlasten“, sondern sich nun auch am Einsatz in Syrien beteiligen – und zwar in sogenannten Aufklärungsflügen mit sechs der typischen Aufklärungsflugzeuge Tornado, die nur ganz zufällig auch als Bomber zu gebrauchen sind.
Bundeswirtschaftsminister Gabriel verteidigt unterdessen den gesteigerten Waffenexport in 2015 gegenüber 2014 und differenziert dabei, dass es sich hierbei zu einem Großteil „nur“ um Waffenlieferungen an befreundete Staaten wie Großbritannien und Israel handeln würde und zudem vielfach „nur“ U-Boote, Schusswesten und Transportflugzeuge exportiert werden würden. Zudem beruft er sich in einer Podiumsdiskussion im Braunschweiger Dom darauf, dass man z.B. Waffen an die kurdischen Truppen liefern musste, um damit einen drohenden Völkermord zu verhindern. Außerdem müsse man den „IS“ jetzt bekämpfen, was auch Bundesverteidigungsministerin von der Leyen aktiv befürwortet.
Ich werde bei dieser ganzen martialischen Kriegs-Rhetorik das Gefühl nicht los, dass man es kaum noch erwarten kann, endlich wieder aktiv mitzumischen und man das Attentat auf Paris (und ebenfalls die breite Empörung über das abgesagte Fußballspiel) nun dazu nutzt, um entsprechende Akzeptanz für den verdächtig rasch durch alle Instanzen durchgepeitschten Einsatz zu erhalten. Ein ebenso breites Echo der Befürwortung wird durch beinahe die gesamte Presse getragen. Kritik oder Mahnung findet kaum statt.
Und während sich hierzulande die schon immer vorhandene latente Fremdenfeindlichkeit eines Teils der Bevölkerung Luft in den abgrundtief naziverseuchten Pöbelveranstaltungen von Pegida & Co. oder der rechtsnationalen AfD macht, versinkt ein anderer Teil in die glühweinselige Vorweihnachts-Kommerzzeit. Gleichzeitig wird dem deutschen Volk jeden Tag in der öffentlichen Berichterstattung die theatralisch auf Shakespeare-Niveau herbeigeredete „Katastrophe“ der Flüchtlingszahlen und damit verbundenen „Gefahren“ und Bedenken auf das medienkonsumgerechte Butterbrot geschmiert. Zusätzlich scharf gewürzt wird das Ganze von stammtischaffinen Politikern sogenannter demokratischer Parteien, wie Markus Söder, der sich nicht mal mehr dafür schämt, die Flüchtlinge mit den Terroristen in einen Topf zu schmeißen und somit die eigentlichen Ursachen für die Flucht dieser Menschen völlig ignoriert und ad absurdum führt.
Die Kanzlerin bemüht sich derweil, der zumindest für sie angedachten Nominierung des Friedensnobelpreises gerecht zu werden und wehrt sich gegen die Anfeindungen in ihrer eigenen CDU oder der Schwesterpartei CSU. Gleichzeitig lässt sie sich aber mit dem türkischen Teilzeitdespoten Erdogan ein, der die Aufgabe bekommt, die „Außengrenzen der EU“ abzusichern – was nichts anderes bedeutet, als dass man die Flüchtlings“welle“ endlich loswerden möchte. Die Rolle der Türkei in der Auseinandersetzung in und um Syrien und dem „IS“ ist dabei so zwiedeutig, wie es eindeutig ist, dass Erdogan die Demokratie in seinem Land immer weiter zurückstutzt und politische Gegner beseitigen lässt. Die EU umarmt den plötzlich so wichtig gewordenen „Partner“ aber trotzdem gern, obwohl sie die Türkei zuvor für viele Jahre in Bezug auf eine Mitgliedschaft in der Gemeinschaft immer am langen Arm verhungern ließ.
Die Kunst als Beobachter dieses politischen, vor Heuchelei, Kriegslüsternheit und Lügen triefenden Gebildes ist es, sich selbst soweit zu beherrschen, dass man morgens noch sein Frühstück bei der Lektüre der Zeitung im Magen behalten kann, ohne dass man es dieser ganzen Bande von (Un-)Verantwortlichen am liebsten ins Gesicht kotzen möchte?
Wer, Monsieur Holland, glaubt denn noch ernsthaft an einen Sinn des „Krieges gegen den Terror“? Seit dem 11. September 2001 wurde dieser Krieg ausgerufen und in die Länder Irak, Afghanistan und Syrien getragen. Und was hat es genutzt? Lediglich der Destabilisierung der gesamten staatlichen Struktur mit den entsprechenden Folgen. Das Attentat auf Paris war wie gesagt furchtbar für die Menschen. Aber glauben Sie wirklich, sie würden den Opfern mit einem Krieg gerecht, in dem es noch mehr Opfer geben wird? Was ist das für eine perverse Logik?
Der „IS“, Herr Gabriel, ist nicht entstanden, weil man dort mal Bock hatte, eine neue Form des Terrors auszuprobieren. Der ist eben durch diese Destabilisierung – durch Krieg und Zerstörung und somit der Perspektivlosigkeit einer ganzen Generation entstanden. Das soll keine Rechtfertigung für die Taten dieser religiösen Brachialhinterwäldler sein. Aber dort, wo überhaupt keine Strukturen mehr vorhanden sind, haben (pseudo-)religiöse Fanatiker leichtes Spiel mit den Menschen. Zumal diese ihre Waffen nicht selbst hergestellt haben, sondern sie u.a. von ihren Gönnern in Saudi-Arabien erhielten, Herr Gabriel, die wiederum von Deutschland gut und gern beliefert werden, denn das ganz zufällig ölreiche und deshalb Narrenfreiheit besitzende Land gehört zu den Hauptabnehmern deutscher Waffen. Das zu verhindern gilt es zunächst, bevor man sich in öffentlichen Diskussionen hinstellt und die Moralkeule des drohenden Völkermordes schwingt.
Ja ich weiß, spätestens an dieser Stelle kommt dann das Argument, dass Pazifismus einen Hitler nicht aufgehalten hätte und dass die faschistische Diktatur vielleicht noch heute existieren würde, hätten die Alliierten sie nicht gestoppt. Die Frage dabei ist, was wäre geschehen, wenn die Siegermächte des I. Weltkrieges nicht aus egoistisch-wirtschaftlichem Interesse die damalige Weimarer Republik so sehr geknebelt hätten, dass sich diese junge Demokratie niemals richtig entwickeln konnte, sondern wenn man diese Demokratie aktiv unterstützt hätte? Das sind angesichts der Historie sicher rhetorische Fragen, aber es kommt immer darauf an, an welcher Stelle man anfängt, Zusammenhänge und Folgen darzustellen. Genauso kommt es heute darauf an, die Folgen des jeweiligen Handelns zu betrachten.
Frau Merkel – es ist ja recht überraschend und auch positiv zu bewerten, dass Sie endlich mal nach über 10 Jahren im Amt deutliche Position beziehen und bei Ihrem Standpunkt bleiben, ohne gleich wieder auf die Wählergunst zu schielen und umzufallen. Anhand der Reaktionen aus den konservativen Reihen Ihrer eigenen Partei“freunde“ können sie nun übrigens erkennen, was Ihr politisches „Handeln“ bisher wert gewesen ist, als es immer ruhig blieb. Aber es reicht bei Weitem nicht „wir schaffen das“ auszusprechen und immer zu wiederholen, wenn dann nicht die entsprechende Politik folgt.
Ja, wir könnten die Integration der vielen Flüchtlinge durchaus ableisten. Wir haben die Ressourcen, das Geld, den Platz dazu, noch viel mehr Menschen hier aufzunehmen. Aber dafür müsste man eben die Ressourcen und das Geld entsprechend dorthin leiten, wo beides benötigt wird. Und das bedeutet, dass man den sehr hohen Reichtum dieses Landes gerechter verteilt. Dass man endlich wieder eine Sozialpolitik umsetzt, die diesen Namen auch verdient. Dass man wieder Wohnungen im großen Stil zu erschwinglichen Preisen baut. Dass man in Bildung investiert. Dass man die Länder und Kommunen mit entsprechenden Mitteln ausstattet. Dass man Arbeitsplätze schafft (z.B. durch eine generelle Arbeitszeitverkürzung für alle). Und vor allem, dass man sich traut für diese schwierige, existenzielle, gesamtgesellschaftliche Aufgabe dort Steuern und notfalls auch Anleihen zu erheben, wo sich das Kapital in den vergangenen Jahrzehnten extrem angehäuft hat. Und dass man darüber auch nicht die eigenen Bedürftigen im Lande aus dem Blick lässt, die unter der bisherigen Politik gelitten haben.
Das alles wäre notwendig, Frau Merkel, damit wir das schaffen. Die Frage ist nun nur noch, ob Sie das auch schaffen, das in Ihren Reihen einzufordern und durchzusetzen?
Stellt sich also nun noch die Frage: wie soll es weitergehen in diesem Land, in der EU, in der Welt? Wieder einen Krieg führen, der erneut zu Hass und Widerhass mit den entsprechenden Folgen führt? Damit weitere Flüchtlingsströme auslösen und Millionen von Menschen in dieses Leid schicken? Hierzulande weiter tatenlos zuschauen, wie eine rechtsextreme Pöbelkultur sich langsam zum politischen Mainstream wandelt, während sich einige Vertreter dieser braunen Brühe dazu berufen fühlen, sich zu radikalisieren und „im Namen des Volkes“ zu brandstiften?
Oder wollen wir endlich eine Mehrheit der Anständigen, der Friedfertigen und der Vernünftigen bilden, die sich deutlich äußert und den politischen Hasardeuren innerhalb und außerhalb der Parlamente enge Grenzen aufzeigt oder sie in die Schranken weist? Ich weiß, dass das ein langer und schwieriger Weg ist und dass manchmal alles sinn- und hoffnungslos erscheint. Ich habe auch keine Antwort darauf, wie man die vielfältigen Interessen der einzelnen Akteure in den aktuellen Auseinandersetzungen entflechtet und sie zum Gespräch zwingt, statt zum Krieg. Aber dem sich immer weiter ausbreitenden Chaos einfach nur zuzuschauen und darüber zu verzweifeln, ist überhaupt keine Option. Genau wie Krieg, Hass und Fremdenfeindlichkeit auch keine sind.
Björn Harmening
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