Ein Sommermärchen?

Deutschland im August 2015 – ein Sommermärchen? Zu Gast bei Freunden in einem weltoffenen Land, wie es 2010 bei der Fußball WM noch hieß? Wohl eher ein Schauermärchen mit offenem Ausgang bei dem nicht klar ist, ob am Schluss steht: „... und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Ende“.

Was geschieht gerade in diesem Land? Wieder Brandanschläge auf Asylbewerberunterkünfte, offen zur Schau getragener Hass gegen Flüchtlinge bei Demonstrationen rechter Pöbelgruppen. In sozialen Netzwerken wird inzwischen mit vollem Namen zu Brandstiftung und Mord aufgerufen und viele fühlen sich offensichtlich dazu berufen, diesen Anstachelungen zu folgen. Die hässliche Fratze von Rassismus und Nationalismus übertüncht alle Versuche der Andersdenkenden hier im Land, die Situation der Menschen, die hierher flüchten, zu verbessern. Asylkritiker nennen sich die Rassisten inzwischen verharmlosend und scheuen auch keine Gelegenheit um zu bekunden, dass sie ja keine Nazis wären, aber ... Genauso gut könnten sie sich übrigens auch Überlebenswillen-Kritiker nennen, denn nichts anderes treibt die Flüchtlinge, die herkommen an.

Es sind Menschen, die in ihren eigenen Ländern die reale Apokalypse erlebt haben oder noch erleben. Die tausendfachen Tod, Zerstörung, Vergewaltigungen, Vernichtung, den vollkommenen Zusammenbruch der Infrastruktur und staatlicher Institutionen mitbekommen haben. Deren Länder durch die jahrzehntelange postkoloniale und imperiale Interessenspolitik des „Westens“ mittels Installation von willfährigen Diktaturen, deren Stützung oder Fall und durch Rohstoffkriege destabilisiert wurden. Es sind auch Menschen aus vermeintlich sicheren Herkunftsländern, in denen sie aber aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit verfolgt und benachteiligt werden und denen auch keine Regierung dieser „sicheren“ Länder hilft, weil deren Vertreter genauso denken oder den Hass auf Minderheiten sogar noch schüren, während die EU dabei stumm zusieht oder gelegentlich mal müde den mahnenden Zeigefinger hebt.

In dieser Lage befinden sich die Menschen und sie machen sich nun zu Hunderttausenden auf den Weg und riskieren dabei ihr Leben. Viele verlieren es, indem sie im Mittelmeer ertrinken oder in LKW’s von rücksichts- und verantwortungslosen Schhleuserbanden qualvoll ersticken, wofür sie auch noch ihre letzten Geld zusammengekratzt haben, weil das unmenschliche Geschäft mit der menschlichen Fracht aufgrund der strickten Abschottungspolitik der EU so „schön“ blüht.

Und wenn sie es dann doch geschafft haben, schlägt ihnen hier der Hass und die Verachtung von Rechtsextremen und deren Mitläufer entgegen; oftmals unter den Augen der Polizei, die das Potenzial der sich aufschaukelnden Gewalt – wie damals in Rostock-Lichtenhagen – offenbar vollkommen unterschätzt und nicht in den Griff bekommt. Hier wird übrigens so klar, wie auf keinem anderen Feld, das vollkommene Versagen der Politik deutlich. Die Bundeskanzlerin äußert sich erst nach vielfacher Aufforderung seitens der Presse zur Thematik und fällt inzwischen vor laufender Kamera lieber unangenehm dadurch auf, dass sie einem kleinen Flüchtlings-Mädchen mittels inhaltsleerer Politikersprechblasen die Hoffnung auf eine normale Zukunft in diesem Land nimmt, sie das Kind dann aber noch medienwirksam „streicheln“ will, als es zu weinen beginnt.

Der Bundespräsident, der doch schon so oft öffentlich davon schwafelte, wie er aktiv mitgeholfen habe, der damaligen DDR die von ihm so hochgehaltene Freiheit und die Menschwürde abzuringen, nutzt jetzt nicht etwa die Gelegenheit, diese beiden Werte endlich mal wirklich gegen die Faschisten und Rassisten hier im Land zu verteidigen. Statt dessen schweigt er beharrlich – was er viel früher und zu anderen politischen Themen eher hätte tun sollen.

Im Grunde ist es aber auch egal, ob und wann sich die Mitglieder der Bundesregierung mit geheuchelten Betroffenheitsphrasen und Empörungsgeschwafel öffentlich äußern, denn sie sind am Ende Bestandteil und Träger des Systems, das verantwortlich für die beschriebenen Zustände ist. Es ist der weltweit herrschende, gierige Kapitalismus und die unbarmherzige Ideologie des Neoliberalismus, die dafür sorgen, dass immer nur wirtschaftliche Interessen die Handlungen und Entscheidungen der Politik beeinflussen. Es ist erklärtes Ziel der EU – und damit auch der deutschen Bundesregierung – Handelswege und Zugänge zu Rohstoffen weltweit um jeden Preis offen zu halten.

Genau dafür wird die Bundeswehr in Auslandseinsätzen benötigt. Gemeinsam mit den USA (manchmal auch im Wettbewerb gegen sie), verfolgt man diese wirtschafts- und geopolitischen Interessen. Die Destabilisierung beinahe der gesamten Golf-Region, wie auch nach wie vor die Unterdrückung des Aufkommens eigenständiger regionaler Wirtschaft und Infrastruktur in afrikanischen Ländern gehören zu solch einer Politik. Nicht zuletzt ist es zudem der Wettbewerb von weltweiten Waffenlieferungen, an denen Deutschland erfolgreich beteiligt ist, der zu Kriegen und Unruhen führt, weil er sie erst mit dem „notwendigen“ Material nährt.

Es soll an dieser Stelle jedoch nicht verschwiegen werden, dass es auch hierzulande immer mehr Bedürftigkeit und Armut gibt. Der jährliche Armutsbericht des paritätischen Wohlfahrtsverbandes – aber auch jeder der Bundesregierung selbst sind im Grunde im doppelten Sinn des Wortes Armutszeugnisse des Versagens der Sozialpolitik. Die sprichwörtliche Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. Trotz geschönter Arbeitslosenzahlen und steigender Wirtschaftsleistung ist ein großer Teil der Beschäftigungsfähigen von Arbeitslosigkeit oder von prekären Jobs betroffen. In dieser Situation werden die Flüchtlinge als Konkurrenz betrachtet. Absichtlich gestreute Legenden von angeblichen Sozialleistungen, welche diese Asylsuchenden erhalten würden, stacheln dieses Konkurrenzdenken und die gefühlte Ungerechtigkeit noch weiter an.

Schon schreien Vertreter der Wirtschaftsverbände öffentlich danach, dass man doch zumindest Asylsuchende, die Arbeit haben, nicht abschieben dürfe. Dies tun sie aber nicht aus Empathie sondern offensichtlich nur deshalb, weil sie billige Arbeitskräfte und deren Ausbeutung wittern. Damit erhöhen sie den Konkurrenzdruck noch weiter und bleiben im Grunde bei der gleichen, menschenverachtenden Handlungsweise, die schon immer im Kapitalismus gegolten hat. Das soll und darf natürlich keine Entschuldigung des asozialen Verhaltens des rechten Pöbels sein, aber es dient als ein Erklärungsmuster innerhalb der anderen Beweggründe der Leute, die gegen die Flüchtlinge hetzen und auf die Straße gehen.

Dies ist übrigens kein rein ostdeutsches Phänomen, wie manche Zeitgenossen es sich etwas zu einfach machen. Zwar wird in der jüngsten Zeit in den Medien oft von den Ausschreitungen in Sachsen berichtet, doch die Zahl der rechten Gewalttaten steigt seit Jahren kontinuierlich in Gesamtdeutschland an. Die derzeitige Gewaltspitze zeigt im Grunde nur das dauernd schwelende Potenzial an latenter Fremdenfeindlichkeit und Rassismus auf, die hier zulande vorhanden sind. Die Frage, wie man dem Einhalt gebieten kann, ist in einem kurzen Essay mit Sicherheit nicht zu beantworten. Wie soll man auch eine Gesellschaft in Kürze verändern, die inzwischen vier Jahrzehnte neoliberale Politik infiltriert bekommen hat und von der ein großer Teil aus Menschen besteht, die gedacht haben, dass sie nach der Wiedervereinigung der goldene Westen erwartet, die aber statt dessen den realen Alltag eines sich nicht mehr in Konkurrenz mit einer anderen Ideologie befindlichen und deshalb demaskierten Systems erlebt.

Wie bringt man Menschen die Zusammenhänge zwischen ihrer eigenen Situation und der von ihnen immer wieder gewählten Politik näher – und das gegen die Macht der Massenmedien in gedruckter oder elektronischer Form mit ihren Ablenkungsstrategien und vermeintlich einfachen Antworten? Wie kann man Solidarität als Lösung vorschlagen, wo immer wieder Wettbewerb und Ellenbogenmentalität als Erfolgsgarant gepredigt wird? Wie erreicht man es, dass endlich eine Politik durchgesetzt wird, die sich wieder zu einem wirklichen Sozialstaat bekennt und auch so gefestigt ist, dass sie das internationale Handeln (z.B. innerhalb der EU) mitgestaltet und Veränderungen ins Leben ruft, die auf friedliche Lösungen und der Ursache der Flucht von Millionen von Menschen ein Ende setzt?

Die Antwort kann eigentlich nur in der Überwindung des Systems liegen, das sich bisher als das siegreiche bezeichnet, aber das nun die Wirkungen seines Wesens mit all dem Elend, der Gewalt und der Not der Menschen zeigt. Das was gerade hier geschieht, ist die Kehrseite der Medaille vom Lebensstil, der uns bisher vorgegaukelt wurde. Deutschland im Sommer 2015 ... leider kein Märchen jedoch die Aufforderung, mit aller Macht gegen Hass und Gewalt der Nazis, aber auch gegen die systemische Ursache vieler menschlicher Tragödien gegenzusteuern. Beides ist untrennbar miteinander verbunden und muss auch parallel angegangen werden.

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