Sind wir alle Charlie?

Der furchtbare Anschlag auf die Redaktion des französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“ durch fanatische Islamisten, der 12 Todesopfer forderte und kurz darauf noch in zwei Geiselnahmen mit weiteren Getöteten mündete, hat die ganze Welt erschüttert und zu vielen Solidaritätskundgebungen mit den Opfern geführt. „Je suis Charlie“ – ich bin Charlie, heißt das Motto, das man nun überall sehen und lesen kann.

Was auf der einen Seite sicher als aufrechte Anteilnahme gelten kann, wird anderswo jedoch schon wieder für die eigenen Zwecke missbraucht. Radikal-„islamische“ Gruppen propagieren in ihrer vollkommenen geistigen Umnachtung, die sie ihre Religion nennen, dass die Täter zu ihnen gehörten oder in ihrem Auftrag gehandelt hätten. Rechtsextremisten wie die blonde Nazimatrone Marine le Pen nutzen das Attentat für ihre verkorkste und menschenverachtende Ideologie und weisen darauf hin, dass sie das ja schon immer vorausgesagt hätten. Die politisch/ideologischen Hyänen jeder Art und Gattung streifen um die Beute und zanken sich darum, während sie die Opfer damit ein weiteres Mal missbrauchen.

Eine wichtige Frage bei diesem schrecklichen Desaster bleibt im Hintergrund: wie konnte es dazu kommen, dass junge Männer, die in Frankreich geboren wurden, sich so weit von aller Menschlichkeit und Realität entfernen, um so etwas zu tun? Was ist generell für die Radikalisierung dieser jungen Leute in Frankreich, Deutschland und anderen EU-Ländern verantwortlich? Vielleicht findet man eine Antwort darin, wenn man sich die Lebenssituation der Menschen mit nordafrikanischen Wurzeln in Frankreich – aber auch die vieler Menschen mit Migrationshintergrund hierzulande anschaut. Parallelgesellschaften entstehen nicht ohne Grund, aber das will niemand hören. Man macht sich zum verachteten „Gutmenschen“, wenn man so argumentiert.

Doch wie reagiert die Politik in dieser Situation? Die üblichen Trauerbekundungen und das Beileidsgeschwafel von Merkel, Gauck und Konsorten wird derzeit mit dem Hinweis auf die „westlichen Werte, die der Terror niemals besiegen würde ...“ ins Unerträgliche gesteigert. Demokratie, Menschenrechte und vor allem die vielgerühmte Pressefreiheit werden ständig bemüht, als hätte es nicht gerade vor kurzer Zeit Folterskandale im Namen eben dieser westlichen Welt durch die selbst ernannte Anführernation gegeben. Und was ist mit der Tatsache, dass die Regierungen des ach so menschengerechten „Westens“ ihren Bürgerinnen und Bürgern offensichtlich nicht so weit trauen, wie man spucken kann und sie heimlich abhören, ihre Mails mitlesen und ihre Daten speichern? Alles schon wieder vergessen?

Im Übrigen ist es auch ein Menschenrecht, in einem sozial gesicherten Umfeld zu leben, Arbeit zu haben, von deren Einkommen man existieren und sich reproduzieren kann. Zudem gehört es zu einer Demokratie, dass die Interessen aller darin lebenden Menschen berücksichtigt werden. All das wird angesichts angeblich ökonomischer Zwänge in den Hintergrund gedrängt und immer mehr Menschen verwehrt. Und genau in diese Wunde wird dann von den Extremisten religiöser oder politischer Couleur gestochert, in dem sie vermeintlich einfache Antworten auf die brennenden Probleme der Leute haben. Statt dies endlich einmal zu analysieren und dann entsprechend politisch zu handeln, wird reflexartig vor allem auf konservativer Seite nach schärferen Gesetzen und nach Eingrenzung der eben noch vielgerühmten Freiheit z.B. durch Vorratsdatenspeicherung gerufen.

Noch ein Wort zur Pressefreiheit. Die reicht immer genau so weit, bis sie an die Mauer der politischen Überzeugung des Herausgebers des jeweiligen Mediums stößt. Es gibt Beispiele genug von geschassten Journalisten, die den Herrschenden zu unbequem geworden sind oder die Themen dann doch lieber nicht so schrieben, wie sie es eigentlich gewollt hätten, weil es dem Chefredakteur so nicht passte. Nur wenige Redaktionen sind so progressiv und gleichzeitig mutig, sich mit den Mächtigen anzulegen. Ein Blick in die deutsche Presselandschaft mit den gezielt stromlinienförmig in eine bestimmte politische Richtung (ab)lenkenden Medien von Springer, Burda und Bertelsmann, zeigt das deutlich. Die sind mit Sicherheit nicht Charlie, auch wenn sie sich dieses Attribut nun anheften, weil es gerade angesagt ist.

Wenn sich die Wogen des Entsetzens und der Empörung nach einigen Tagen oder Wochen wieder geglättet haben, wird genauso weitergemacht, wie bisher. Was uns jedoch droht, ist ein Kulturkrieg, der im Grunde nur die logische Fortsetzung der Kriege um Öl und Rohstoffe ist, die seit langem in den Ländern toben, in denen der Fanatismus durch jahrzehntelangen Hass, Krieg und Gewalt gezüchtet wurde. Wenn wir alle wirklich Charlie sein wollen, dann müssen wir uns gegen die Verursacher dieser verkehrten Politik wenden und sie in die Grenzen weisen.

Kurt T.

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